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Jenseits des Bösen

Jenseits des Bösen

Titel: Jenseits des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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kümmern kann, wofür?«
    »Kannst du mir nicht einfach vertrauen?«
    Sie sah ihn stechend an. Das Feuer war niedergebrannt, aber ihre Augen hatten sich an das bernsteinfarbene Halbdunkel ge-wöhnt. Ein Teil von ihr wollte verzweifelt jemandem das Vertrauen schenken. Aber sie hatte fast ihr ganzes Leben lang erfahren müssen, wie gefährlich das war. Männer, Agenten, Studiobosse, so viele hatten sie früher um ihr Vertrauen gebeten, und sie hatte es gegeben und war beschissen worden. Jetzt war es zu spät umzulernen. Sie war bis ins Knochenmark zynisch.
    Wenn sie aufhörte, das zu sein, würde sie auch aufhören, Tesla zu sein, und es gefiel ihr, Tesla zu sein. Daraus folgte - wie die Nacht dem Tag -, daß ihr auch der Zynismus gut paßte.
    Daher sagte sie: »Nein. Tut mir leid. Ich kann dir nicht vertrauen. Nimm das nicht persönlich. Es wäre dasselbe, auch wenn du jemand anders wärst. Ich will alles wissen.«
    »Was bedeutet das?«
    »Ich will die Wahrheit. Sonst gebe ich dir gar nichts.«
    »Bist du sicher, daß du dich weigern kannst?« sagte Kissoon.
    Sie wandte halb das Gesicht ab und sah mit verkniffenen Augen wieder zurück, so wie es ihre Lieblingsheldinnen immer taten, mit einem vorwurfsvollen Blick.
    »Das war eine Drohung«, sagte sie.
    »So könnte man es auslegen«, bemerkte er.
    »Nun, zum Teufel...«
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    Er zuckte die Achseln. Seine Passivität - die fast lässige Art, wie er sie ansah - erboste sie noch mehr.
    »Weißt du, ich muß nicht hier sitzen und mir das anhören.«
    »Nicht?«
    »Nein! Du verbirgst etwas vor mir.«
    »Jetzt wirst du lächerlich.«
    »Das glaube ich nicht.«
    Sie stand auf. Sein Blick folgte ihrem Gesicht nicht, sondern verweilte auf der Höhe des Unterleibs. Plötzlich fühlte sie sich in seiner Anwesenheit unwohl, nackt, wie sie war. Sie wollte die Kleidungsstücke, die wahrscheinlich noch in der Mission waren, so muffig und blutig sie auch sein mochten. Wenn sie wieder dorthin wollte, sollte sie sich besser auf den Weg machen. Sie wandte sich zur Tür.
    Hinter ihr sagte Kissoon: »Warte, Tesla. Bitte warte. Es war mein Fehler. Ich gebe es zu, es war mein Fehler. Komm zurück, ja?«
    Sein Ton war versöhnlich, aber sie hörte einen weniger gütigen Unterton heraus. Er ist aufgebracht, dachte sie; trotz seiner spirituellen Gelassenheit kocht er. Es war eine Lektion in der Kunst des Dialogs, das Fauchen unter dem Schnurren heraus-zuhören. Sie drehte sich um, um noch mehr zu hören, war aber nicht mehr sicher, ob sie von diesem Mann die Wahrheit erfahren würde. Es war nur eine Drohung erforderlich, das zu bezweifeln.
    »Los«, sagte sie.
    »Möchtest du dich nicht setzen?«
    »Nein«, sagte sie. Sie mußte so tun, als hätte sie keine Angst, obwohl sie plötzlich welche hatte; sie mußte ihre nackte Haut als ausreichende Kleidung betrachten. Stehenbleiben und trotzig nackt sein. »Ich möchte mich nicht setzen.«
    »Dann will ich versuchen, es dir, so schnell ich kann, zu er-klären«, sagte er. Er hatte jede Zweideutigkeit seines Verhaltens wirksam beseitigt. Er war zuvorkommend, beinahe 435
    unterwürfig.
    »Nicht einmal ich, das mußt du mir glauben, habe alle Fakten zur Verfügung«, sagte er. »Aber ich habe genug, hoffe ich, um dich von der Gefahr zu überzeugen, in der wir schweben.«
    »Wer ist wir?«
    »Die Bewohner des Kosm.«
    »Noch einmal.«
    »Hat Fletcher dir das nicht erklärt?«
    »Nein.«
    Er seufzte.
    »Stell dir Essenz als Meer vor«, sagte er.
    »Ich denke...«
    »Auf einer Seite dieses Meeres ist die Realität, die wir bewohnen. Ein Kontinent des Seins, wenn du so willst, dessen Grenzen Schlaf und Tod sind.«
    »So weit, so gut.«
    »Und jetzt... stell dir vor, daß es noch einen Kontinent gibt, auf der anderen Seite dieses Meeres.«
    »Eine andere Realität.«
    »Ja. So unermeßlich und komplex wie unsere eigene. So voll von Energien und Lebewesen und Gier. Aber, wie der Kosm auch, von einer einzigen Rasse mit seltsamen Gelüsten beherrscht.«
    »Das klingt gar nicht gut.«
    »Du wolltest die Wahrheit hören.«
    »Ich sage nicht, daß ich dir glaube.«
    »Dieser andere Ort ist der Metakosm. Die Bewohner sind die Iad Uroboros. Sie existieren.«
    »Und ihre Gelüste?« sagte sie, war aber nicht sicher, ob sie es wirklich wissen wollte.
    »Nach Reinheit. Nach Einmaligkeit. Nach Wahnsinn.«
    »Schöne Gelüste.«
    »Du hast recht gehabt, als du mir vorgeworfen hast, ich 436
    würde dir nicht die Wahrheit sagen. Ich habe dir nur einen Teil davon

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