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Jenseits des Bösen

Jenseits des Bösen

Titel: Jenseits des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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erzählt. Der Schwarm stand am Ufer der Essenz Wache, um zu verhindern, daß die ›Kunst‹ durch menschliche
    Ambitionen mißbraucht wird; aber wir beobachteten auch das Meer...«
    »Wegen einer Invasion?«
    »Davor fürchteten wir uns. Vielleicht rechneten wir sogar damit. Vielleicht lag das ja nicht nur an unserer Paranoia. Unsere schlimmsten Alpträume sind die, in denen wir den Geruch der Iad jenseits von Essenz wahrnehmen. Die tiefsten
    Schrecken, die übelsten Hirngespinste, die in den Köpfen der Menschen spuken, sind Echos ihrer Echos. Ich gebe dir mehr Grund, Angst zu haben, Tesla, als du je von anderen Lippen hören könntest. Ich erzähle dir etwas, das nur die allerstärkste Psyche verkraften kann.«
    »Gibt es auch gute Nachrichten?« fragte Tesla.
    »Wer hat das je versprochen? Wer hat je gesagt, daß es gute Nachrichten gibt?«
    »Jesus«, antwortete sie. »Und Buddha. Und Mohammed.«
    »Bruchstücke von Geschichten, die vom Schwarm zu Kulten umfunktioniert wurden. Ablenkungen.«
    »Das kann ich nicht glauben.«
    »Warum nicht? Bist du Christin?«
    »Nein.«
    »Buddhistin? Moslime? Hindu?«
    »Nein. Nein. Nein.«
    »Aber du bestehst trotzdem darauf, an die guten Nachrichten zu glauben«, sagte Kissoon. »Sehr bequem.«
    Ihr war, als wäre sie, sehr heftig, ins Gesicht geschlagen worden, und zwar von einem Lehrer, der ihr während des ganzen Gesprächs immer drei oder vier Schritte voraus gewesen war und sie konstant und verstohlen an einen Ort geführt hatte, wo sie nur noch Absurdes von sich geben konnte.
    Und es war wahrhaftig absurd, sich an Hoffnungen aufs 437
    Himmelreich zu klammern, wo sie doch Pisse auf jede Religion hinunterschüttete, die unter ihrem Fenster vorbeiging. Sie war nicht niedergeschlagen, weil Kissoon einen Punkt in der Diskussion für sich gutmachen konnte. Sie hatte in zahlreichen Unterhaltungen schwere Schläge einstecken müssen und sich wieder aufgerappelt und noch schwerere ausgeteilt. Was sie bis aufs Blut krank machte, war die Tatsache, daß ihre
    Verteidigung gegen so vieles, was er gesagt hatte, schon im selben Augenblick entkräftet wurde. Wenn es nur zum Teil stimmte, was er ihr gesagt hatte, und die Welt, in der sie lebte -
    der Kosm - in Gefahr war, welches Recht hatte sie dann, ihr kleines Leben höher einzustufen als sein verzweifeltes Bedürfnis nach Unterstützung? Selbst angenommen, sie konnte den Rückweg aus dieser Zeit außerhalb der Zeit finden, konnte sie nicht in die Welt zurückkehren, ohne sich jeden Augenblick zu fragen, ob sie nicht die einzige Überlebenschance des Kosm vertan hatte, als sie ihn zurückließ. Sie mußte bleiben; sie mußte sich ihm ausliefern; nicht nur, weil sie ihm rückhaltlos glaubte, sondern weil sie es sich nicht leisten konnte, sich zu irren.
    »Hab keine Angst«, hörte sie ihn sagen. »Die Situation ist nicht schlimmer als vor fünf Minuten, und da hast du dich noch wacker in der Diskussion geschlagen. Jetzt kennst du einfach nur die Wahrheit.«
    »Schwacher Trost«, sagte sie.
    »Nein«, antwortete er leise. »Ich sehe das. Und du mußt verstehen, daß diese Last allein schwer zu tragen ist und ohne Hilfe mein Rücken bricht.«
    »Ich verstehe«, sagte sie.
    Sie ging vom Feuer weg und lehnte sich an die Mauer der Hütte, um sich zu stützen und ihre Kälte am Rücken zu spüren.
    Dort lehnte sie und sah zu Boden und bekam mit, wie Kissoon aufstand. Sie sah ihn nicht an, hörte aber sein Grunzen. Und dann seine Bitte.
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    »Ich muß deinen Körper bewohnen«, sagte er. »Was, fürchte ich, bedeutet, daß du ihn räumen mußt.«
    Das Feuer war fast völlig niedergebrannt, aber sein Rauch wurde immer dichter. Er drückte auf ihren Hinterkopf, so daß sie Kissoon nicht ansehen konnte, selbst wenn sie es gewollt hätte. Sie fing an zu zittern. Zuerst die Knie, dann die Finger.
    Kissoon redete unaufhörlich weiter, während er näher kam. Sie hörte sein leises Schlurfen.
    »Es tut nicht weh«, sagte er. »Wenn du ruhig stehenbleibst und zu Boden siehst...«
    Langsam kam ihr ein Gedanke: Machte er den Rauch irgendwie dicker, damit sie ihn nicht ansah?
    »Es ist schnell vorbei...«
    Er hört sich an wie ein Anästhesist, dachte sie. Das Zittern wurde stärker. Der Rauch drückte immer schwerer auf sie, je näher er kam. Jetzt war sie sicher, daß er es wirklich tat. Er wollte nicht, daß sie ihn ansah. Warum nicht? Kam er mit einem Messer zu ihr, um ihr das Gehirn herauszuschneiden, damit er sich hinter ihren Augen einnisten

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