Jenseits des Bösen
aus, als
454
wolltest du die Eier abgerissen bekommen«, sagte er. »Oder möchtest du bei der Vorstellung mitmachen?« Seine Augen wurden groß angesichts dieser Vorstellung. »Bist du deshalb gekommen? Wegen eines Engagements?«
»Ich habe gesagt...«, begann Tommy-Ray.
»Ist mir scheißegal, was du gesagt hast. Jetzt rede ich. Kapiert?« Er legte Tommy-Ray seine Pranke auf den Mund.
»Also... willst du mir etwas zeigen oder nicht?«
Das Bild, das er im Nebenzimmer gesehen hatte, fiel
Tommy-Ray wieder ein, als er zu seinem Gegner aufsah: die Frau mit den glasigen Augen, der Hund mit den glasigen Augen. Er hatte hier den Tod im Leben gesehen. Er machte den Mund hinter der Handfläche des Mannes auf und drückte die Zunge gegen die stickige Haut.
Der Mann grinste.
»Ja?« sagte er.
Er ließ die Hand vor Tommy-Rays Gesicht sinken. »Hast du was zu zeigen?« wiederholte er.
»Hier...«, murmelte Tommy-Ray.
»Was?«
»Kommt rein... kommt rein...«
»Was faselst du da?«
»Nicht mit dir. Hier. Kommt... hier... herein.« Er sah von dem Mann zur Tür.
»Hör mit der Scheiße auf, Junge«, antwortete der Mann. »Du bist allein.«
»Kommt rein!« kreischte Tommy-Ray.
»Verdammt, halt's Maul!«
»Kommt rein!«
Das Kreischen tötete dem Mann den Nerv. Er schlug
Tommy-Ray so fest ins Gesicht, daß der Junge aus seinem Griff und zu Boden fiel. Tommy-Ray stand nicht auf. Er sah einfach nur zur Tür und sprach seine Aufforderung ein letztes Mal aus.
455
»Bitte, kommt rein«, sagte er leiser.
Gehorchte die Legion diesmal, weil er gebeten und nicht befohlen hatte? Oder hatten sie sich einfach gesammelt und waren erst jetzt bereit, ihm zu Hilfe zu kommen? Wie auch immer, sie fingen an, an der geschlossenen Tür zu rasseln. Der Barkeeper drehte sich grunzend um. Er schien selbst mit seinen blutunterlaufenen Augen zu sehen, daß kein natürlicher Wind Einlaß begehrte. Er drückte zu rhythmisch; seine Faust hämmerte zu heftig. Und sein, Heulen, oh, das Heulen, das war nicht das Heulen von Stürmen, wie er sie kannte. Er drehte sich wieder zu Tommy-Ray um.
»Scheiße, was ist denn da draußen los?« sagte er.
Tommy-Ray blieb einfach liegen, wo er hingeworfen worden war, und lächelte zu dem Mann auf, das legendäre Lächeln, das Verzeiht-mir-mein-Eindringen-Lachen, das niemals so wie frü-
her sein würde, weil er ja mittlerweile der Todesjunge war.
Stirb, sagte dieses Lächeln jetzt, stirb vor meinen Augen.
Stirb langsam, stirb schnell. Mir egal. Dem Todesjungen ist das alles gleich.
Während das Lächeln breiter wurde, ging die Tür auf,
Bruchstücke des Schlosses und Holzsplitter wurden vom eindringenden Wind durch die Bar geworfen. Draußen im Sonnenschein waren die Gespenster in diesem Wind nicht sichtbar gewesen; aber jetzt machten sie sich sichtbar, ihr Staub gerann vor den Augen der Zeugen. Einer der Männer, die auf Tischen lagen, richtete sich gerade noch rechtzeitig auf, daß er sehen konnte, wie drei Gestalten, deren Oberkörper wie Innereien aus Staub herabtropften, von den Köpfen an abwärts vor ihnen materialisierten. Er wich zur Wand zurück, wo sie sich auf ihn stürzten. Tommy-Ray hörte ihn schreien, sah aber nicht, welchen Tod sie ihm gaben. Er hatte nur Augen für die Gespenster, die sich dem Barkeeper näherten.
Er sah, daß ihre Gesichter ganz Gier waren; als hätte die Reise in der Kolonne ihnen Zeit gegeben, sich zu vereinfachen.
456
Sie waren nicht mehr so deutlich voneinander unterscheidbar wie früher; vielleicht hatte sich ihr Staub im Sturm vermischt, und jeder war ein wenig wie der andere geworden. Nach dieser Gleichmacherei waren sie noch schrecklicher, als sie es an der Friedhofsmauer gewesen waren. Er erschauerte bei ihrem Anblick; der Mensch, der er gewesen war, hatte Angst vor ihnen, der Todesjunge verging fast vor Wonne. Das waren die Soldaten seiner Armee: aufgerissene Augen, noch weiter aufgerissene Mäuler, Staub und Verlangen in einer einzigen heulenden Legion.
Der Barkeeper fing laut an zu beten, aber er verließ sich nicht auf Gebete allein. Er griff nach unten, hob Tommy-Ray mit einer Hand auf und zerrte ihn hoch. Nachdem er seine Geisel genommen hatte, wich er durch die Tür in das Sex-Zimmer zurück. Tommy-Ray hörte ihn etwas wiederholen, möglicherweise den Empfänger des Gebets? Santo Dios! Santo Dios! Aber weder Worte noch Geisel bremsten den tosenden Wind und seine Staubfracht. Sie folgten ihm und rissen die Tür weit auf.
Tommy-Ray sah, wie ihre
Weitere Kostenlose Bücher