Jenseits des Bösen
zum Himmel.
»Zwischen Gefechten...«, sagte er.
»Ja?«
»... ist es ganz genauso.«
Tommy-Ray, dachte der Jaff, wandte sich vorübergehend von seinen Geschäften ab und ging ans Fenster. Er war durch die Arbeit abgelenkt gewesen und hatte erst gemerkt, daß sein 540
Sohn in der Nähe war, als dieser schon wieder den Hügel hinabfuhr. Er versuchte, dem Jungen eine Nachricht zu senden, aber die Botschaft wurde nicht empfangen. Die Gedanken, die der Jaff früher so mühelos kontrollieren konnte, waren nicht mehr so einfach zu lenken. Etwas hatte sich verändert; etwas von entscheidender Bedeutung, das der Jaff nicht deuten konnte. Der Verstand des Jungen war kein offenes Buch mehr.
Die Signale, die er empfing, waren bestürzend. Der Junge hatte eine Angst in sich, wie er sie bislang noch nie gespürt hatte; und eine Kälte, eine allumfassende Kälte.
Der Versuch, den Sinn der Signale zu entschlüsseln, war vergeblich, zumal ihn soviel anderes beschäftigte. Der Junge würde zurückkommen. Das war sogar die einzige Botschaft, die er deutlich empfangen hatte: daß der Junge die Absicht hatte zurückzukommen.
Derweil wurde die Zeit des Jaff von Wichtigerem in
Anspruch genommen. Der Nachmittag hatte sich als äußerst profitabel erwiesen. Seine Ambitionen für diese Versammlung waren innerhalb von zwei Stunden übertroffen. Er hatte Verbündete von so durchdringender Reinheit hervorgebracht, wie es unter den Terata der Bewohner des Grove unmöglich gewesen wäre. Die Persönlichkeiten, die sie abgegeben hatten, hatten sich anfangs seinen Verlockungen widersetzt. Das war zu erwarten gewesen. Manche, die gedacht hatten, sie sollten ermordet werden, hatten die Brieftaschen gezückt und
versucht, sich den Rückzug aus dem oberen Zimmer zu
erkaufen. Zwei Frauen hatten die Silikonbrüste entblößt und ihre Körper angeboten, statt zu sterben; ein Mann hatte ein ähnliches Geschäft versucht. Aber ihr Narzißmus war wie ein Kartenhaus in sich zusammengestürzt, die Drohungen,
Verhandlungen und Bitten waren verstummt, als sie anfingen, ihre Ängste auszuschwitzen. Er hatte sie alle gemolken und wieder zu der Party geschickt.
Die Versammlung, die jetzt an den Wänden aufgereiht stand, 541
war aufgrund der neuesten Rekruten reiner; eine Botschaft der Entropie lief von einem Terata zum nächsten, und ihre Vielfalt verkam im Schatten zu etwas Älterem - sie wurden dunkler, einfacher. Sie wiesen keine individuellen Merkmale mehr auf.
Er konnte ihnen nicht mehr die Namen ihrer Erzeuger
zuordnen: Günther Rothberry, Christine Seepard, Laurie Doyle, Martine Nesbitt: Wo waren sie jetzt? Sie waren zu einer einförmigen, lauernden Masse geworden.
Seine Legion war so groß, daß er sie gerade noch
beherrschen konnte; noch einige mehr, dann würde die Armee aufmüpfig werden. Vielleicht war sie es ja bereits. Und doch schob er den Augenblick, an dem er seine Hände schließlich machen lassen wollte, wozu sie erschaffen worden waren, nämlich die ›Kunst‹ zu benützen, immer weiter hinaus. Es waren zwanzig Jahre seit jenem alles verändernden Tag vergangen, an dem er das Symbol des Schwarms gefunden hatte, das sich nach dem Verschicken in die Wüste von Nebraska verirrt hatte. Er war nie zurückgekehrt. Selbst als er mit Fletcher gekämpft hatte, hatte der Frontverlauf nie nach Omaha zurückgeführt. Er bezweifelte, daß noch jemand dort sein würde, den er kannte. Krankheit und Verzweiflung dürften gut die Hälfte weggerafft haben. Alter die andere Hälfte. Er war selbstverständlich von derlei Einflüssen unberührt geblieben. Über ihn hatten die verrinnenden Jahre keine Macht.
Die hatte ausschließlich der Nuncio, und nach diesen
Verwandlungen gab es kein Zurück. Er mußte immer vorwärts gehen, mußte die Erfüllung der Ambition erleben, welche ihm an jenem Tag eingegeben worden war, und an den
darauffolgenden Tagen. Er war aus der Banalität seines Daseins in seltsame Gebiete aufgebrochen und hatte selten zurückgeblickt. Aber heute, während die Parade berühmter Gesichter vor ihm im oberen Zimmer erschienen war, geweint und gezittert und die Brüste und danach die Seelen für ihn entblößt hatte, da konnte er nicht anders, er mußte an den 542
Mann denken, der er einstmals gewesen war, der niemals zu hoffen gewagt haben würde, sich einmal in so erlauchter Gesellschaft zu befinden. Und eben in dieser Situation fand er etwas in sich selbst, das er all die Jahre über fast erfolgreich verborgen hatte. Genau
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