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Jenseits des Bösen

Jenseits des Bösen

Titel: Jenseits des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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die wahrscheinlich vergeblich gewesen war. Er ging weiter zur Tierhandlung, weil er hoffte, dort auf menschliche Gesellschaft zu treffen und ein Telefon zu finden. Von drinnen ertönte Lärm von Vögeln: die letzten Gefangenen des Geschäfts. Wenn er Zeit gehabt hätte, hätte er sie selbst freigelassen. Kein Grund, warum sie nicht auch einmal die Sonne sehen sollten.
    »Jemand zu Hause?« sagte er und steckte den Kopf durch die Tür.
    Ein Gecko lief zwischen seinen Beinen durch. Er sah ihm nach und hatte dieselbe Frage auf den Lippen. Aber er sprach sie nicht mehr aus. Der Gecko war auf dem Weg heraus durch Blut gelaufen; überall, wo er hinsah, war Blut verschmiert. Er sah Elizandos Leichnam zuerst, dann den anderen, der halb unter Käfigen begraben war.
    »Hotchkiss?« sagte er.
    Er zerrte die Käfige von dem Mann herunter. Nicht nur der Geruch von Blut lag in der Luft, auch der Gestank von Scheiße. Dieser färbte auf seine Hände ab, aber Grillo hörte trotzdem nicht auf, bis er sich vergewissert hatte, daß Hotchkiss tatsächlich tot war. Die Bestätigung dafür bekam Grillo, als er den Kopf freigelegt hatte. Der Schädel war zertrümmert worden, Knochenbruchstücke waren in die
    Gallertmasse seines Verstandes und seiner Sinne eingedrungen und ragten wie Scherben heraus. Kein Tier in einem Laden dieser Größe hätte derartige Verletzungen zufügen können. Es war auch nicht ersichtlich, was für eine Waffe benützt worden war. Er hielt sich nicht lange damit auf, über dieses Problem nachzudenken, zumal die Möglichkeit bestand, daß die
    Verantwortlichen sich noch in der Nähe aufhielten. Er sah sich um und suchte nach einer Waffe. Eine Peitsche, ein
    Stachelhalsband, irgend etwas, mit dem er einen Attentäter abwehren konnte. Dabei sah er ein Buch, das ein Stück von 730
    Hotchkiss' Leichnam entfernt auf dem Boden lag.
    Er las den Titel laut.
    »Vorbereitung auf Armageddon.«
    Dann hob er es auf und blätterte hastig die Seiten durch. Es schien sich um einen Ratgeber zu handeln, wie man die Apokalypse überleben konnte. Es waren Worte der Weisheit von gläubigen Mormonen an Mitglieder der Kirche, die ihnen sagten, daß alles gut werden würde; daß sie Gottes lebende Orakel, den Ersten Präsidenten und den Rat der zwölf Apostel, auf ihrer Seite hatten, damit sie sie beraten und über sie wachen konnten. Sie mußten nur die Ratschläge, die seelischen und praktischen, befolgen, dann konnten sie alles überleben, was die Zukunft brachte.
    »Seid ihr vorbereitet, so müsset ihr nichts fürchten«, war die Hoffnung - nein, Gewißheit - dieser Seiten. »Seid reinen Herzens, liebt eure Nächsten, seid rechtschaffen und haltet euch an heiligen Orten auf. Und hortet euren Jahresvorrat.«
    Er blätterte weiter. Warum hatte Hotchkiss gerade dieses Buch mitgenommen? Hurrikane, Waldbrände und Sturmfluten?
    Was hatten sie mit der Dreieinigkeit zu tun?
    Und dann sah er es: das körnige Foto einer Atompilzwolke und darunter Worte, die den Ort nannten, wo sie zur
    Detonation gebracht worden war.
    Trinity, New Mexico.
    Er las nicht weiter. Er lief mit dem Buch in der Hand über den Parkplatz, wobei Tiere vor ihm herstoben, und stieg ins Auto ein. Der Anruf bei Abernethy würde warten müssen. Er wußte nicht, wie sich die Tatsache ins Gesamtbild fügte, daß Trinity der Geburtsort der Atombombe war, aber vielleicht wußte es Tesla. Und selbst wenn nicht, hatte er die
    Befriedigung, daß er ihr die Nachricht überbrachte. Er wußte, es war absurd, daß er plötzlich so zufrieden mit sich war, als würde diese Information etwas Entscheidendes verändern. Die Welt ging ihrem Ende entgegen - Die Fahrt ist vorbei -, aber 731
    die Tatsache, daß er dieses winzige Bruchstück einer
    Information in Händen hielt, nahm diesem Sachverhalt
    vorübergehend seinen Schrecken. Er kannte keine größere Freude, als Überbringer von Neuigkeiten zu sein, ein Bote, ein Nuncio. Näher war er dem Glück noch niemals gewesen.
    In der kurzen Zeit - nicht mehr als vier oder fünf Minuten -, die er im Einkaufszentrum verbracht hatte, hatte sich die Stabilität des Grove deutlich verschlechtert. Zwei Straßen, die auf dem Weg vom Hügel herunter noch befahrbar gewesen waren, waren es jetzt nicht mehr. Eine war buchstäblich ganz verschwunden - die Erde hatte sich einfach aufgetan und sie verschlungen -, auf der anderen lagen die Trümmer von zwei eingestürzten Häusern. Er fand eine dritte Route, die noch passierbar war, und raste bergauf, doch

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