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Jenseits des Bösen

Jenseits des Bösen

Titel: Jenseits des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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die Erdstöße wurden manchmal so heftig, daß er beinahe die Herrschaft über das Fahrzeug verlor. Während seiner Abwesenheit waren ein paar Schaulustige auf der Bildfläche erschienen, drei Helikopter ohne Kennzeichen, von denen einer unmittelbar über dem Haus von Vance schwebte, während seine Passagiere sich zweifellos um eine Einschätzung der Lage bemühten. Mittlerweile mußten sie erkannt haben, daß es sich hier nicht um ein Naturereignis handelte. Vielleicht kannten sie sogar die Ursache. D'Amour hatte Tesla gesagt, daß die Existenz der Iad den Höchsten der Hohen bekannt war. Wenn dem so war, dann hätten eigentlich schon vor Stunden Artilleristen das Haus umstellen müssen, und nicht eine Handvoll verängstigter Polizisten. Hatten die Politiker und Generäle den Beweisen in ihren Händen nicht getraut? Waren sie so pragmatisch, daß sie sich nicht vorstellen konnten, ihr Reich könnte von etwas bedroht werden, das von jenseits der Träume kam? Er konnte ihnen keinen Vorwurf machen. Vor zweiundsiebzig Stunden hätte er diese Tatsache selbst noch nicht geglaubt. Er hätte sie als Unsinn abgetan, wie das Geschwafel von Gottes lebenden Orakeln in dem Buch, das neben ihm auf dem Sitz lag, als Ausgeburt einer überhitzten 732
    Fantasie. Wenn die Beobachter blieben, wo sie waren, direkt über dem Schisma, dann würden sie die Möglichkeit bekommen, ihre Meinung zu ändern. Sehen hieß glauben. Und sie würden sehen.
    Die Pforten von Coney Eye waren umgestürzt, ebenso die Mauer. Er ließ das Auto vor dem Geröll stehen, packte das Buch und kletterte auf das Haus zu, auf dem etwas, das er für den Schatten einer Wolke hielt, zu ruhen schien. Die Beben hatten die Risse in der Einfahrt vergrößert, und er mußte aufpassen, wohin er trat, obwohl eine beunruhigende Eigenart der Atmosphäre um das Haus herum seine Konzentration
    erschwerte. Je näher er der Tür kam, desto dunkler schien der Schatten zu werden. Die Sonne schien ihm immer noch auf den Hinterkopf, und auch auf die Kuchen-im-Regen-Fassade von Coney Eye, trotzdem war die Szene rußig verfärbt, als wäre eine Schicht schmutziger Tünche über alle gestrichen worden.
    Er bekam Kopfschmerzen vom Hinsehen; seine Stirnhöhlen kribbelten, in den Ohren heulte es. Noch beunruhigender als diese kleinen Unbehaglichkeiten war das greifbare Gefühl des Grauens, das mit jedem Schritt stärker wurde. Ekelerregende Bilder kamen ihm ins Gedächtnis zurück, die aus seiner jahrelangen Erfahrung in Redaktionen von einem Dutzend Zeitungen stammten, wo er Fotos gesehen hatte, die kein Redakteur, und wäre er noch so dickfellig gewesen, für den Druck freigegeben hätte. Selbstverständlich Autounfälle und Flugzeugabstürze - Leichen in Stücken, die nie wieder zusammengesetzt werden konnten. Unweigerlich auch
    Mordszenen. Doch sie alle waren nicht die Spitze des Eisbergs.
    Das waren Bilder von Unschuldigen und dem Leid, das ihnen zugefügt worden war. Babys und Kinder, geschlagen,
    verstümmelt, auf den Müll geworfen; Gewalt gegen Alte und Kranke; Demütigung von Zurückgebliebenen. So viele
    Grausamkeiten, und alle in seinem Kopf.
    »Die Iad«, hörte er Tesla sagen und drehte sich in die Rich-733
    tung ihrer Stimme um. Die Luft zwischen ihnen schien dick geworden zu sein, ihr Gesicht war grobkörnig, wie auf einem schlechten Foto. Nicht echt. Nichts war echt. Bilder auf einer Leinwand.
    »Die Iad kommen«, sagte sie. »Das spürst du. Du solltest von hier weg. Es hat keinen Zweck, wenn du bleibst...«
    »Nein«, sagte er. »Ich habe... eine Nachricht.«
    Es fiel ihm schwer, sich an diesen Gedanken zu klammern.
    Die Flut der Unschuldigen nahm kein Ende, einer nach dem anderen, und sie hatten alle Arten von Verletzungen.
    »Was für eine Botschaft?«
    »Trinity.«
    »Was ist damit?«
    Sie schrie, wurde ihm klar, und trotzdem war ihre Stimme kaum zu hören.
    »Du hast Trinity gesagt, Grillo.«
    »Ja?«
    »Was ist damit?«
    So viele Augen sahen ihn an. Er konnte an nichts anderes mehr denken; ihr Leid und ihre Ohnmacht.
    »Grillo!«
    Er konzentrierte seine Aufmerksamkeit, so gut er konnte, auf die Frau, die flüsternd seinen Namen brüllte.
    »Trinity«, sagte sie wieder.
    Er wußte, in dem Buch, das er in der Hand hielt, stand die Antwort auf ihre Fragen, aber die Augen, und das Elend in diesen Augen, lenkten ihn ab. Trinity. Was war Trinity? Er hob das Buch und gab es ihr, aber als sie es entgegennahm, fiel es ihm wieder ein.
    »Die Bombe«, sagte

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