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Jenseits des Bösen

Jenseits des Bösen

Titel: Jenseits des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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erschauernd. »Innen drin angefaßt.«
    »Sei still!« brauste Joyce plötzlich auf. »Sprich es nicht aus.«
    »Es stimmt, oder nicht?« entgegnete Arleen. »Oder nicht?«
    Sie sah wieder auf. Zuerst zu Joyce, dann zu Carolyn; schließ-
    lich zu Trudi, die nickte.
    »Was immer da draußen ist, hat uns gewollt, weil wir Frauen sind.«
    Joyce' Schluchzen schwang sich in neue Höhen empor.
    »Sei still«, fauchte Trudi. »Wir müssen darüber nachdenken.«
    »Was gibt es da nachzudenken?« sagte Carolyn.
    »Zunächst einmal, was wir sagen wollen«, antwortete Trudi.
    »Wir sagen, wir waren schwimmen...«, begann Carolyn.
    »Und dann?«
    »... wir waren schwimmen und...«
    »Etwas hat uns angegriffen? Hat versucht, in uns einzudringen? Etwas nicht Menschliches?«
    »Ja«, sagte Carolyn. »Das ist die Wahrheit.«
    »Sei nicht so dumm«, sagte Trudi. »Sie würden uns ausla-chen.«
    »Es ist trotzdem die Wahrheit«, beharrte Carolyn.
    »Glaubst du, das spielt eine Rolle? Sie werden sagen, daß wir schön blöd waren, überhaupt erst schwimmen zu gehen.
    Dann werden sie sagen, daß wir einen Krampf bekommen
    haben, oder so etwas.«
    »Sie hat recht«, sagte Arleen.
    Aber Carolyn klammerte sich an ihre Überzeugung. »Angenommen, jemand anders kommt hierher?« sagte sie. »Und der Vorfall wiederholt sich. Oder sie ertrinken. Nehmen wir an, sie ertrinken. Dann wären wir schuld.«
    »Wenn es Regenwasser ist, wird es in ein paar Tagen wieder 98
    versickert sein«, sagte Arleen. »Wenn wir etwas sagen, werden wir zum Ortsgespräch. Wir würden es nie überwinden. Es würde uns unser restliches Leben verderben.«
    »Führ dich nicht wie eine Schauspielerin auf«, sagte Trudi.
    »Keine wird etwas machen, dem wir nicht alle vier zugestimmt haben. Ja? Ja, Joyce?« Joyce gab ein ersticktes Schluchzen der Zustimmung von sich. »Carolyn?«
    »Meinetwegen«, lautete die Antwort.
    »Wir müssen uns nur auf eine Version einigen.«
    »Wir sagen gar nichts«, antwortete Arleen.
    »Nichts?« sagte Joyce. »Sieh uns doch an.«
    »Nie erklären. Nie entschuldigen«, murmelte Trudi.
    »Hm?«
    »Das sagt mein Daddy immer.« Der Gedanke, daß dies eine Familienphilosophie war, schien sie aufzumuntern. »Nie erklä-
    ren...«
    »Wir haben es gehört«, sagte Carolyn.
    »Also sind wir uns einig«, fuhr Arleen fort. Sie stand auf und kramte ihre restlichen Kleidungsstücke vom Boden zusammen.
    »Wir behalten es alle für uns.«
    Niemand erhob noch einen Einwand. Sie griffen Arleens Hinweis auf und zogen sich alle an, dann gingen sie zur Straße zurück und überließen den See seinen Geheimnissen und seiner Stille.
    99
    II

    l

    Zuerst geschah überhaupt nichts. Sie hatten nicht einmal Alpträume. Lediglich eine angenehme Mattigkeit, bei der es sich wahrscheinlich um die Nachwirkungen handelte, daß sie dem Tod so nahe gewesen und ihm entkommen waren. Sie verheim-lichten ihre Blutergüsse, gingen ihren Belangen nach und be-wahrten ihr Geheimnis.
    In gewisser Weise bewahrte es sich selbst. Sogar Arleen, die ihr Entsetzen angesichts des intimen Überfalls, dem sie alle ausgesetzt waren, als erste ausgedrückt hatte, fand rasch ein sonderbares Vergnügen an der Erinnerung, das sie sich nicht einzugestehen wagte, auch den anderen dreien gegenüber nicht.
    Sie sprachen überhaupt wenig miteinander. Was auch nicht nötig war. Dieselbe seltsame Überzeugung wuchs in allen: daß sie, auf eine außergewöhnliche Weise, die Auserwählten waren. Aber lediglich Trudi, die schon immer einen Hang zum Messianischen gehabt hatte, hätte die Empfindung mit diesem Wort bedacht. Für Arleen war die Empfindung lediglich eine Bestätigung dessen, was sie schon immer gewußt hatte: daß sie ein einmalig glamouröses Geschöpf war, für das die Regeln, nach denen der Rest der Welt zu leben hatte, nicht galten. Für Carolyn bedeutete es ein neues Selbstbewußtsein, das ein schwaches Echo der Offenbarungen war, die sie im Angesicht ihres bevorstehenden Todes gehabt hatte: daß jede Stunde, in der man seinen Gelüsten nicht folgte, vergeudet war. Für Joyce war die Empfindung noch einfacher. Sie war für Randy
    Krentzman vom Tod errettet worden.
    Sie vergeudete keine Zeit damit, ihm ihre Leidenschaft kundzutun. Am Tag nach den Geschehnissen am See fuhr sie direkt zum Haus der Krentzmans in Stillbrook und erklärte ihm mit den einfachsten Worten, daß sie ihn liebte und die Absicht 100
    habe, mit ihm zu schlafen. Er lachte nicht. Er sah sie einfach nur bestürzt an, dann

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