Jenseits des leuchtenden Horizonts - Roman
gedacht, ihr Clan versteckt uns, und hat deshalb Ärger gemacht. Wie auch immer, sie haben ihn getötet.«
»Sie waren doch nicht Zeuge seines Todes, oder? Marlee hat das doch hoffentlich nicht mit angesehen?«
»Nein. Es passierte, als Marlee und ich mit ihrer Großmutter, ihrer Tante und einigen anderen Verwandten unterwegs waren. Alba und Carina brachten uns an einen Ort, der für Marlees Mutter eine ganz besondere Bedeutung gehabt hatte, als sie noch ein kleines Mädchen war.«
»Was für ein Glück«, sagte Erin erleichtert. »Das hätte sie ewig lange verfolgt.« Die Kleine hatte schon genug traumatische Erlebnisse gehabt.
»Es war wirklich ein großes Glück. Ich habe den Constable am Tatort getroffen. Er war aus einem ganz anderen Grund in der Gegend und bekam den Mord nur zufällig mit. Ich erklärte ihm, weshalb ich glaubte, Bojan habe dort Ärger gemacht. Es wird eine Untersuchung geben, aber der Constable meinte, es sei unwahrscheinlich, dass gegen die Aborigines Anklage erhoben wird, weil Bojan versucht hat, sich einem Aborigine-Kind zu nähern – was auch immer er geplant hatte.«
»Was hatte er wohl geplant?«
»Ich glaube, er wollte das Kind benutzen, um Druck auf die Stammesmitglieder auszuüben. Sie sollten ihm sagen, wo wir sind. Dass wir nicht dort waren, wollte er offenbar nicht glauben. Bojanwurde anscheinend gewalttätig, worauf zwei der jungen Leute ihn töteten.«
»Ich schätze, Bojan hat endlich bekommen, was er verdient hat«, sagte Erin. »O mein Gott, ich bin so erleichtert. Aber wie hat Marlees Familie denn reagiert, als Sie sie erneut zu ihr gebracht haben? Verstehen die Leute ihres Clans inzwischen, dass die Kleine nicht bei ihnen leben will?«
»Ja. Ich habe versprochen, dass wir sie ab und zu besuchen kommen, und damit waren sie zufrieden. Sie haben wohl auch gespürt, dass ich sie nicht beeinflusse, sondern dass sie selbst entschieden hat, nicht bei ihnen zu bleiben. Das war ihnen wichtig.«
»Das ist gut.« Erin seufzte. »Und wo ist Liza?«, fragte sie. »Ich würde sie gern kennenlernen.« Sie wusste, es würde ihr wehtun, sie war jedoch so dankbar dafür, dass Jonathan am Leben war, dass sie ihn nur glücklich sehen wollte.
»Sie ist in England«, antwortete Jonathan. Ihm war sichtlich unbehaglich zumute.
»Oh! Ich dachte, Sie drei würden von jetzt an in Alice Springs leben.«
»Ich werde mit Marlee hier leben. Liza und ich haben die Hochzeit abgesagt. Wir beide, sie und ich, sehen keine gemeinsame Zukunft für uns.«
Erin war verwirrt. »Keine gemeinsame Zukunft? Aber wieso denn nicht?«
»Liza wollte nicht in eine schon fertige Familie einheiraten. Ich sollte Marlee zur Adoption freigeben, doch das wäre für mich nicht infrage gekommen.«
»Natürlich nicht«, rief Erin entsetzt.
»Liza konnte Marlee nicht akzeptieren, also sagte ich ihr, ich könne sie nicht heiraten. Sie war wütend, weil ich Marlee ihr vorzog, aber ich kann niemanden lieben, der Marlee nicht gernhat. So einfach ist das.«
»Das tut mir leid, Jonathan«, sagte Erin. »Ich weiß, wieschmerzlich es ist, eine Beziehung zu beenden, auch wenn es der richtige Schritt ist.«
»Schon seltsam. Da denkt man, man liebt jemanden, und dann erlebt man etwas, das viel tiefer geht. Man fragt sich, wie man je glauben konnte, diesen Menschen geliebt zu haben.« Jonathan sah Erin verlegen an. »Ich weiß nicht, ob Sie das verstehen. Aber es war die richtige Entscheidung. Und Marlee und mir gefällt es hier in Alice Springs.«
»Wohnen Sie wieder bei Carol-Ann? Sie haben sich doch so gut mit ihr verstanden.« Erin ertappte sich dabei, dass sie Eifersucht spürte. Ob Carol-Ann wohl eine Beziehung mit Jonathan beginnen würde, nachdem er nun frei war? Sie wischte den schmerzlichen Gedanken schnell beiseite.
Jonathan ahnte, was sie dachte. »Ich war wirklich überzeugt davon, dass Bojan keine Gefahr mehr darstellte. Ich dachte, er würde zurück in seine Mine nach Coober Pedy gehen, deshalb haben wir unter freiem Himmel kampiert. Also nein, wir wohnen nicht bei ihr. Aber ich werde Carol-Ann bald mal besuchen. Marlee freut sich schon auf das Wiedersehen mit Michaela. Carol-Ann ist allerdings nur eine gute Freundin, Erin. So etwas wie Liebe empfinde ich nicht für sie.«
Erin konnte die Erleichterung, die sie verspürte, kaum verbergen.
»Ich habe gehört, Will Spender ist nach Alice Springs versetzt worden. Gehen Sie wieder mit ihm aus?«
»Nein. Aber ich war am Nachmittag in der Stadt und traf ihn da
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