Jenseits des Spiegels
haben die anderen getan, was wurde gesagt, könnte noch jemand anwesend gewesen sein, von dem du nichts mitbekommen hast? Jede noch so kleine Kleinigkeit könnte uns weiterhelfen.“
Ich überlegte, und rief mir jeden einzelnen Moment noch einmal in Erinnerung. „Es ist gut möglich dass da noch jemand war, ich war schließlich nur wenige Minuten wach, und habe nicht wirklich mitbekommen was um mich herum geschehen ist. Aber ich denke dass es in der Zwischenzeit jemand erwähnt hätte.“ Ich überlegte. Durch die Anstrengung verzog sich meine Stirn, und tausend kleine Falten, was nun wirklich nicht schön aussah. „Ich bin aufgewacht“, rekapitulierte ich. „Fang versuchte mich wachzurütteln. Ich habe ihn gespürt, aber nicht für voll genommen. Was mich wirklich aufwachen ließ war das Gekicher von dem kleinen Jungen. Fang hockte vor mir, und ich bin vor seinem Anblick zurückgeschreckt.“ Ich runzelte die Stirn noch mehr. Da war noch etwas gewesen, aber erst als ich eine kleine weiße Narbe auf meinem Arm erblickte, fiel es mir wieder ein. „Der Spiegel“, sagte ich.
„Spiegel?“ Gaare horchte auf. „Was für ein Spiegel?“
„Ich lag vor einem Spiegel. Als ich aufgewacht bin, hab ich ihn zerbrochen, als ich vor Fang zurückgezuckt bin. Das hatte ich völlig vergessen.“ Wie hatte mir das nur passieren können? Okay, müßige Frage.
„Erzähl mir von dem Spiegel.“
„Naja“, überlegte ich laut. So wirklich hatte ich ihn ja nicht gesehen, auf jeden Fall nicht lange. Ich war ja gleich darauf wieder in Ohnmacht gefallen. „Das war ein riesending, golden und protzig und …“
Gaare war schon aus seinem Sessel hochgeschnellt, kaum dass ich zwei Worte über meine Lippen gekommen waren. Für so einen alten Kerl konnte er sich manchmal recht flink bewegen. Er sagte kein Wort, während er die Bücher in den Regalen abschritt. Ihn umgab die gleiche Energie wie immer, wenn er ein neues Ziel vor Augen hatte.
„Gaare?“
„Der Spiegel, das könnte …“ Er zog ein Buch heraus, blätterte kurz darin, und stellte es wieder zurück. „Ich weiß dass es hier irgendwo sein muss.“
„Was denn? Vielleicht kann ich dir suchen helfen.“ Helfen war bei den tausenden von Büchern wahrscheinlich keine schlechte Idee. Das und noch mindestens hundert andere Leute, die uns zur Hand gehen würden.
Gaare schenkte mir ein kurzes Lächeln. „Danke, meine Liebe“, sagte er während er weitere Bücher aus dem Regal zog, „aber ich kenne diese Bibliothek besser als jeder andere, und ich bezweifle, dass du finden würdest wonach ich suche. Dazu wäre ein mehrjähriges Studium nötig, über das du leider nicht verfügst.“ Zwei Bücher landeten in seinen Armen, die er sofort zum Tisch brachte, nur um nochmal zurück zu gehen, und ein drittes aus den Reihen zu ziehen.
„Sagst du mir dann wenigstens wonach du suchst?“ Langsam wurde ich aufgeregt, ja richtig kribbelig. Gaare schien genau zu wissen, was er brauchte. War das ein gutes Zeichen? Ich hoffte es einfach mal.
„Jenseits des Spiegels“, sagte er nur, und drückte mir das dickste der drei Bücher in die Hand.
„Was?“ Zwar nahm ich es entgegen, verstand aber nur Bahnhof.
„Vor ein paar Jahren habe ich etwas gelesen, das mich vermuten lässt, dass es wahr ist. Ich muss es nur wiederfinden, vielleicht …“ Er verstummte wieder, schlug das erste Buch auf, und überflog konzentriert die ersten Zeilen. Dann legte er die Schwarte zur Seite, und machte sich erneut auf den Weg zu den Regalen.
Also wirklich, mit Gaare in einem solchen Moment zu sprechen konnte wirklich frustrierend sein. „Gaare?“
„Das ist ein Märchen das wir unseren Kindern erzählen. Ließ es, und du wirst verstehen.“
Mein Gesicht war immer noch ein großes Fragezeichen. „Ein Märchen? Aber wo … ich …“
„Das Buch in deiner Hand, dort drin steht es. Jenseits des Spiegel. Und jetzt geh, ich habe zu tun.“
Ich wollte noch etwas sagen, aber er winkte mich mit einer Hand fort. Ich kannte ihn in der Zwischenzeit gut genug, um zu wissen, dass es nichts brachte ihn weiter zu löchern. Er war nun völlig in seiner kleinen Welt versunken, und würde meine weitere Anwesenheit nur als lästig und störend empfinden. So ließ ich ihn alleine, und suchte mir einen ruhigen Ort, um mich ein weiteres Mal mit einem Märchen zu beschäftigen.
°°°
Nachdenklich saß ich im kleinen Salon, das dicke Buch auf dem Schoß, und starrte ins Nichts. Wenn dem was da stand nur
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