Jenseits des Tores
sie an. »Was wißt ihr von seiner Macht .«
»Auch du scheinst nicht alles zu wissen«, fiel ihr ein Weib ins Wort. »Sonst wäre diese Sache hier wohl anders ausgegangen, nicht wahr?«
»Sie gedeiht prächtig, die Macht unseres Herrn«, warf Moritz ein. »So gut schon, daß selbst unter uns schon Zwietracht herrscht.«
»Wohl wahr«, sagte Lorenz, ein längst nicht mehr junger Mann, den der Gram über den Verlust von Weib und Kindern zu der Bande geführt hatte. »Die Wege des Herrn sind wunderbar .«
Eine Weile entstand unheilvolles Schweigen zwischen ihnen, bis einer sagte: »Laßt uns den Leichnam verbrennen, bevor die Pest noch über uns alle kommt.«
Wie in einer einzigen Bewegung wollte die Schar sich umwenden nach dem Mädchen - und wie von einem gemeinsamen Gedanken beherrscht verhielten sie inmitten der Bewegung.
Weil eine Stimme sie stoppte. Eine Stimme, die ihnen eisige Schauer bescherte.
»Wo . bin ich?« Und dann: »Was ist geschehen?« Kathalena richtete sich mühsam und ungelenk auf.
Wie eine Tote, in die neues Leben gefahren war.
*
Der Vampir hatte alle Mühe, nicht laut aufzustöhnen. Um ein Haar hätte er sich verraten, als ihn der Odem der fremden Macht traf, die sich über das Lager des Gesindels gebreitet hatte und nur zögernd wieder verging. Miroc hatte exakt diesen Hauch noch in übler Erinnerung: Er nämlich war es gewesen, der ihn und seine Geschwister vor Jahren aus Prag vertrieben und die Stadt für sie zur »verbotenen Zone« gemacht lassen. Nur ungleich stärker war die Macht damals gewesen; vielleicht, weil sie selbst präsent gewesen war. Hier indes hatte nur ihr Odem gewirkt.
Dennoch genügte es, daß Miroc sich unbehaglich fühlte. Mehr noch: Er spürte, wie diese Macht an seinen eigenen Kräften zehrte. Wenn er noch länger blieb, würde sie ihm Schwäche in die Glieder pflanzen, die zu vertreiben ihm große Mühe bereiten würde.
Er hatte gesehen, was er hatte sehen wollen. Er wußte, daß die Bande dort tatsächlich unter einem finsteren Segen stand.
Das reichte Miroc, um eigene Pläne zu fassen. Er würde dafür sorgen, daß man gegen die Buhlschaft dort anging. Wer und wie viele dabei auf der Strecke bleiben würden, kümmerte ihn nicht.
Der Vampir wandte sich ab und sah den Hügel hinab, wo das Städtchen Helmbrechts in scheinbarem Frieden lag. Daß in jedem Haus Armut und Elend zu Gast waren, spürte er sehr wohl, doch was ging's ihn an?
Ein Plan nahm Gestalt an in seinen Gedanken. Einer, der ihm gut gefiel. Denn er würde doppelten Nutzen daraus ziehen:
Zum einen würden die armen Leutchen dort unten ihm (und seiner ganzen Rasse) ein übles Problem vom Halse schaffen; und zum anderen würde ihm selbst der Tisch reich mit Blut gedeckt werden.
Ein flatternder Schatten stieg auf in die Nacht und wurde eins mit ihr. Doch erst als er sich ein Stück von dem Lager und dem, was noch darüber lag wie ein übler Hauch, entfernt hatte, waren Mirocs Schwingenschläge wieder von der gewohnten Leichtigkeit.
* »Laßt mich!«
Adelheid und Moritz wichen erschrocken zurück unter Lenas Aufschrei. Das Mädchen selbst rutschte wie angstvoll in die andere Richtung, die noch immer kraftlosen Arme vorgestreckt, als müßte es sich unsichtbarer Feinde erwehren. Der Boden unter ihr war glasig hart geworden, nachdem die Blitze ihn schier zerschmolzen und die Nachtluft ihn wieder abgekühlt hatten.
»Lena, mein Mädchen«, flüsterte Adelheid. »Was ist mit dir? Du mußt dich nicht fürchten, mein Kind. Es ist alles gut, jetzt, da du wieder . bei uns bist.«
Sie bewegte sich vorsichtig auf ihre Tochter zu, die sie wie eine Fremde anstarrte. Schließlich ließ Lena es zu, daß Adelheid ihre erhobenen Arme behutsam herabdrückte und ihr voller Wärme ins Gesicht sah.
»Du mußt Fürchterliches durchgemacht haben«, sagte Adelheid. »Aber es ist vorüber, glaub mir.«
Lenas Lippen bebten, als wollten greuliche Erinnerungen sich mitteilen. Doch sie schien keine Worte dafür zu finden. Nur diese: »Es . war die . Hölle .«
Adelheid nickte, während die anderen im Halbkreis hinter ihr kauerten. Doch die Ehrfurcht, die sie vor dem dunklen Wunder empfanden, lag fast zum Greifen um sie.
»Ich weiß«, bestätigte Adelheid lächelnd. »Unser Herr hat dir geholfen. Alle Mühe hat sich gelohnt, ihn anzurufen.«
»Unser Herr ...?« echote Lena. Irgend etwas war an ihrer Stimme, fand Adelheid, etwas Seltsames . wie ein fremder Ton. Sie vertrieb den Gedanken, als die Tochter
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