Jenseits von Feuerland: Roman
Emilia insgeheim befürchtet hatte, sondern wichen zurück. Für einen Moment blendete sie die Sonne so stark, dass sie nichts als dunkle Schemen sah. Sie presste die Augen zusammen, ganz anders als Christine, die ihren Blick über die Männer schweifen ließ – oder zumindest so tat. Eigentlich war Christine Steiner halb blind und konnte schon seit Monaten nicht mehr ihrer liebsten Beschäftigung nachgehen – Sinnsprüche auf Kopfkissen zu sticken –, aber vor den Männern wollte sie keine Schwäche zeigen.
»Was ist das für ein Lärm?«, fuhr sie die Soldaten an und gab Emilia ein Zeichen, dass sie ihre Worte ins Spanische übersetzen sollte, was diese hastig tat. Noch ehe einer der Soldaten etwas entgegnen konnte, fügte sie harsch hinzu: »Tüchtige Männer arbeiten zu dieser Tageszeit auf dem Feld und brüllen nicht herum.«
Wie so oft schlug sie einen tadelnden Tonfall an. Christine Steiner war eine rechtschaffene Frau, und sie hielt viel auf Anstand und Sitten, sonderlich freundlich aber war sie nie gewesen. Vor allem, wenn sie über frühere Zeiten sprach, klang sie nörgelnd. Damals hätten sie zwar mehr Hunger gelitten, so behauptete sie immer wieder aufs Neue, dennoch sei alles besser gewesen. Ein jeder hätte gewusst, wo sein Platz wäre und was er zu tun hätte. Viel zu verwöhnt waren die Jungen heutzutage, viel zu undankbar und faul.
»Also«, fuhr Christine die Männer an, »was wollt ihr hier?«
Während Emilia auch diese Frage übersetzte, schob sich eine Wolke vor die Sonne, und sie konnte die Soldaten erstmals genauer betrachten. Sie waren allesamt mit Säbeln bewaffnet, zwei von ihnen auch mit Gewehren. Die Uniformen waren zerrissen und fleckig, doch sie wollte lieber nicht ergründen, woher die Flecken stammten: ob nur von Erde und Schlamm oder von Blut. In jedem Fall sahen sie furchterregend aus mit den gegerbten Gesichtern, den breiten Schultern, den rohen Händen. Kein Wunder, dass das Mapuche-Mädchen solche Angst vor ihnen hatte. Menschlich wirkte einzig, dass zumindest einige von ihnen verlegen den Blick vor der alten Frau niederschlugen.
»Wir sind Soldaten«, erklärte schließlich einer, obwohl das angesichts der Uniformen nicht notwendig gewesen wäre. »Wir sind von der Regierung beauftragt, das Land der aufrührerischen Rothäute zu besetzen.«
Noch bevor Emilia den Satz zu Ende übersetzen konnte, unterbrach Christine sie bereits schroff: »Und was wollt ihr dann hier?«, herrschte sie die Männer an. »Hier am See leben nur deutschstämmige Chilenen. Euer Vaterland ist längst das unsere geworden, und wir dienen ihm genauso gut wie ihr.«
Der Soldat runzelte die Stirn – es war nicht klar, ob als Ausdruck von Ärger oder von Unsicherheit: »Das glauben wir gerne, gute Frau. Aber wir haben Anlass zur Vermutung, dass sich hier eine der aufständischen Rothäute versteckt.«
Emilia unterdrückte ein Schaudern. Vorhin, als das Mädchen von den Soldaten gesprochen hatte, die es töten wollten, war ihr nicht recht klar gewesen, was hier vor sich ging. Nun begriff sie langsam.
Es wurde am See nicht oft darüber geredet, aber die Gerüchte waren auch bis zu ihnen gedrungen: Gerüchte darüber, dass die Regierung beschlossen hatte, das Gebiet der Ureinwohner Chiles zu erobern. Araukanien nannten diese selbst es – Indianerland die Soldaten. Offiziell war nur die Rede davon, das wilde Volk zu unterwerfen, doch hinter vorgehaltener Hand war auch von blutigen Massakern die Rede, bei denen ganze Stämme ausgerottet wurden.
Christines Gesicht blieb ausdruckslos. »Wie ich schon sagte«, erklärte sie ohne auch nur das geringste Zeichen von Verunsicherung. »Hier leben keine Rothäute, sondern deutsche Siedler. Die Regierung, die euch beauftragt hat, Araukanien zu besetzen, hat uns dieses Land einst geschenkt. Wir haben es gerodet, wir haben hier Getreide angebaut, also sind wir es auch, die bestimmen, was hier passiert. Ihr habt hier nichts verloren. Also geht! Verschwindet!«
Emilia wagte kaum, die letzten Worte zu übersetzen, und fügte zur Sicherheit ein flehentliches Bitte hinzu. Ob dieses nun den Soldaten, offenbar war er der Offizier der Truppe, gnädig stimmte oder Christines schroffer Befehl – in jedem Fall trat er mit unschlüssigem Gesicht zurück. Ein anderer jedoch war nicht bereit zu weichen. »Das Mädchen versteckt sich hier«, erklärte er zornig. »Ich habe es gesehen, wie es in Richtung eurer Siedlung lief.«
Diesmal gelang es Emilia nicht, den
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