Jenseits von Feuerland: Roman
Schutz annehmt oder nicht.«
»Ich habe mich noch gegen jede Art von Gesindel zu wehren gewusst«, entgegnete Christine.
Emilia kannte das spanische Wort für Gesindel nicht und war darüber auch ganz froh. Christine Steiner ließ keinen Zweifel daran erkennen, dass sie auch diese Soldaten für solches hielt.
Wieder senkte sich ein Augenblick der Stille über sie – dann hob der Offizier die Hand. Kurz konnte Emilia nicht deuten, was er vorhatte, und fürchtete, dass er sich doch noch gewaltsam Zutritt ins Haus verschaffen würde. Aber stattdessen wandten sich die Soldaten ab und bestiegen die Pferde. Es dauerte gefühlte Ewigkeiten, bis sie endlich alle im Sattel saßen, doch immerhin weigerte sich keiner, dem Befehl des Offiziers zu folgen. Sie gaben den Pferden die Sporen und ritten davon, ohne sich noch einmal umzudrehen. Alsbald erinnerten nur mehr die Hufspuren in der schlammigen Erde, dass sie da gewesen waren.
Emilia zitterte am ganzen Leib, als sie zurück ins Haus eilten. Auch Christines Gesicht wirkte etwas bleicher und faltiger als sonst. Trotzdem sagte sie nichts, sondern setzte sich wieder stumm an den Webstuhl, als hätte sie mit dem Grund der Aufregung nichts zu schaffen.
Emilia stürzte hoch in den ersten Stock, wohin Annelie und Barbara das Mädchen gebracht hatten. Es lag in dem Bett, in dem Emilia ansonsten schlief. Barbara hatte sich an seiner Seite niedergelassen und strich ihm mit einem feuchten Tuch über das Gesicht.
»Keine Angst«, murmelte sie. »Hab doch keine Angst.« Offenbar hatte das Mädchen sein Bewusstsein wiedergefunden.
Emilia trat näher, während sie rasch berichtete, dass die Soldaten fortgeritten waren. Das Gesicht der jungen Frau war nun sauberer als vorhin, doch umso deutlicher konnte man die Kratzer und die blutig gebissenen Lippen sehen. Zaghaft öffnete sie den Mund, formte einen Namen, tonlos erst, dann glaubte Emilia ihn zu verstehen.
Quidel.
Emilia riss die Augen auf. »Quidel, das ist doch …«
»Das ist der Mapuche-Freund deines Vaters, nicht wahr?«, rief Annelie aufgeregt.
Während Annelie, Barbara und Emilia sich verdutzt anblickten, versuchte das Mapuche-Mädchen wieder, etwas zu sagen. Es sprach so leise, dass Emilia sich dicht über das Gesicht beugen musste, um es zu verstehen.
»Bitte … bitte helft mir …«
Emilia griff vorsichtig nach der Hand und drückte sie leicht. Die Finger waren eiskalt.
Ihr Vater Cornelius hatte oft von Quidel erzählt – einem Mapuche, mit dem er einst Freundschaft geschlossen hatte. Die beiden hatten sich vor vielen Jahren in Valdivia kennengelernt, als sie gemeinsam für den Straßenbau gearbeitet hatten. Später hatte Quidel eine Weile hier in der Siedlung am Llanquihue-See gelebt, ehe er zu seinem Stamm zurückgekehrt war.
»So alt, wie sie ist, muss sie Quidels Tochter sein«, stellte Annelie leise fest.
Der Mund des Mädchens schloss sich wieder, es presste die Augen zusammen. In dem übergroßen Bett wirkte es klein und hilflos – ein Anblick, der Emilia rührte.
Sie beugte sich noch dichter zu dem geschundenen Gesichtchen.
»Wir sind Freunde deines Vaters«, sagte sie rasch. »Wir kümmern uns um dich. Hab keine Angst mehr und ruh dich aus! Du bist hier in Sicherheit.«
3. Kapitel
D ie Wärme tat so gut. Zunächst war es gar nicht wichtig, woher sie rührte. Die junge Mapuche-Frau genoss einfach nur das Wohlbehagen, als die Schmerzen in ihren Gliedern nachließen. Erst später bemerkte sie, dass das Bett, in dem sie lag, ein besonders weiches war. Kein Fell bedeckte es wie ihre Schlafstatt in der Ruca ihrer Großmutter, sondern Leinen, sauber und glatt.
Eine der Frauen hatte ihre blutigen Füße mit etwas eingerieben, das nach wilden Kräutern roch und sie dann ebenfalls mit Leinen verbunden. Und man hatte ihr etwas zu essen gegeben. Sie hatte geglaubt, nie wieder etwas essen zu können, doch als ihr der Geruch von Eintopf aus Kartoffeln und zartem Lammfleisch in die Nase gestiegen war, hatte sich ihr Magen vor Hunger schmerzhaft verkrampft. Sie hatte die Bissen so schnell hinuntergewürgt, dass sie sie kaum kaute. Die Frauen hatten ihr daraufhin die Schüssel weggezogen und darauf bestanden, dass sie langsamer essen müsse, sonst würde ihr das Fleisch wie Stein im Magen liegen. Später hatte sie Brühe bekommen, kräftige, salzige Rinderbrühe.
Dann war sie eingeschlafen, traumlos und tief. Als sie am frühen Morgen erwachte und kurz nicht wusste, wo sie sich befand, kroch wieder
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