Jenseits von Feuerland: Roman
an den Arzt dachte, den Arthur erst dazu hatte zwingen müssen, sich die Hände zu desinfizieren – um wie viel sorgloser und brutaler würde eine Kurpfuscherin vorgehen?
Rita könnte daran sterben.
Und das Kind … Ja, sie konnte nicht anders: Sie musste auch an das Kind denken. Nicht an ein feindliches Wesen, das Zerstörung brachte. Sondern an ein Kind, wie sie selbst es gewesen war – schutzlos und unschuldig. Und doch dazu verdammt, sein Leben lang mit dieser Last zu leben, einer Last, die sie gezwungen hatte, die Heimat aufzugeben – und Manuel.
Immer mehr Tränen strömten aus ihren Augen. Kaum konnte sie sich aufrecht halten, so sehr wurde sie von Schluchzern geschüttelt. Vor der stummen, steifen Rita war es ihr unangenehm, sich so gehenzulassen, zumal diese keine Reaktion zeigte, sondern ungerührt vor ihr stand, als ginge sie das Ganze nichts an.
Mit aller Macht riss Emilia sich zusammen und wischte sich die Tränen von den Wangen.
»Es wird alles gut«, sagte sie heiser.
Sie glaubte nicht daran. Und Rita – das verrieten ihre toten Augen – auch nicht.
16. Kapitel
J eder Schritt, den Esteban machte, geriet noch torkelnder als der zuvor. Ohne Zweifel – er hatte zu viel getrunken. Stundenlang war er in der Bar Hamburgo gesessen, hatte einen doppelten Gin nach dem anderen gekippt und sich vom Qualm der Pfeifen und Virginias benebeln lassen. Unscharf erinnerte er sich daran, selbst eine dicke Zigarre der Marke »Avanti« geraucht zu haben. Eigentlich waren ihm diese zu stark, und er kam sich auch lächerlich vor, wenn er sie sich zwischen seine Lippen klemmte. Jerónimo hingegen genoss sie aufs höchste und sah beim Rauchen äußerst elegant aus. Jerónimo stand schließlich auch Kleidung wie Frack und Zylinder, und neuerdings trug er sogar manchmal einen Spazierstock. Oft musste Esteban grinsen, wenn er ihn anblickte. Bei ihm selbst witterte man sie so rasch, Jerónimo dagegen konnte sie prächtig verbergen – seine schmutzige Seele nämlich. Nur dieser graue, stahlkalte Blick ließ selbst Esteban manchmal gruseln. Rätselhaft blieb, was dahinter lauerte; niemals war bis ins Letzte zu ergründen, was Jerónimo eigentlich bezweckte und was ihn antrieb. Esteban wusste auch nicht, was ihn dazu bewogen hatte, mit ihm Freundschaft geschlossen zu haben – nur, dass ihm diese Freundschaft viele Vorteile einbrachte, so wohlhabend und genusssüchtig, wie Jerónimo war.
»Nicht so schnell!«, rief Esteban ihm nun nach.
Anders als die seinen, fielen Jerónimos Schritte fest und bestimmt aus. Auch wenn er gerne trank – Esteban hatte ihn noch nie hemmungslos betrunken erlebt. Genauso wenig, wie er ihn je mit dreckiger Kleidung gesehen hatte. Ein bisschen neidete er ihm diese Beherrschung, und noch mehr neidete er ihm, dass es Jerónimo so viel leichter in seinem Leben hatte als er. Jerónimo war kein Offiziersbastard mit einer faulen Mutter, sondern Sohn von Felipe Callisto, einem der ersten Reeder, die sich hier in Punta Arenas niedergelassen hatten. Als sein Vater gestorben war, hatte er ihm ein großes Vermögen hinterlassen, und Jerónimo musste keinen Finger krummmachen, um es nicht nur zu bewahren, sondern sogar noch zu vergrößern. Das tat vielmehr ein gewitzter Geschäftsführer für ihn. Nur einen Vormittag in der Woche verbrachte Jerónimo damit, die Geschäftsunterlagen durchzusehen, ansonsten widmete er sich seiner edlen Kleidung, seinem Vergnügen – und seiner Bösartigkeit.
Manchmal war es für Esteban beschämend, dass immer Jerónimo für ihn den Gin und Whisky und auch die Huren bezahlte. Manchmal war es sogar beängstigend – denn welches Interesse hatte ein reicher, edler Mann an einer Kreatur wie ihm? Allerdings – er bot ihm im Gegenzug für diese Gefälligkeiten auch nicht wenig: zwar nichts, was man kaufen und anfassen konnte, aber jede Menge Spaß, zum Beispiel die Rache an der Rothaut, mit der er auch das Mannweib hatte treffen können.
Als er Jerónimo das erste Mal von der Demütigung berichtet hatte, die ihm diese beiden Weiber zugefügt hatten, hatten dessen Augen gefunkelt. Tagelang hatte er einen Plan ausgeheckt, wie man ihnen am besten schaden konnte. So gut Esteban diesen Plan auch fand – er selbst hätte nicht so viel Geduld aufgebracht, der Rothaut etwas vorzuspielen. Unerträglich war es ihm manchmal gewesen, aus der Ferne zusehen zu müssen, wie Jerónimo sich so unendlich viel Zeit nahm, sie zu umgarnen. Wäre es nach Esteban gegangen, so
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