Jenseits von Feuerland: Roman
letzten Besuch in Bau gewesen war, nun fertiggestellt war. Und ja, die große Eisenbrücke, die seit über einem Jahrzehnt Norder- und Süderelbe verband und über die mittlerweile auch der Straßenverkehr ging, war tatsächlich sehenswert.
»Ich kann es nicht mehr erwarten!«, hatte Emilia in den letzten Tagen, da sie Hamburg immer näher kamen, oft gerufen – und nun war nichts zu sehen. Hinter der grauen Nebelwand hätte sich auch bloß ein Dorf, nicht eine Stadt verbergen können.
Während Emilia mit dem ersten Anblick, den das ersehnte Deutschland bot, haderte, kam Arthur dieses Wetter eben recht. Er fand, dass es seine eigene Laune spiegelte. Während der Reise hatte er dagegen angekämpft, hatte versucht, jeden Tag mit Emilia zu genießen und nicht an die Zukunft zu denken. Doch spätestens heute musste er dieser Zukunft ins Gesicht blicken: Wie sollte es ihm hier gelingen, sein größtes Geheimnis vor Emilia zu bewahren? Das Geheimnis, das er so gerne ohne ihr Wissen aus dem Weg geschafft hätte, um später zu ihr nach Chile zurückzukehren?
Manchmal war er kurz davor gestanden, sich ihr anzuvertrauen, hatte sich aber dann doch nicht überwinden können, ihr von seiner ungeliebten Ehefrau in Hamburg zu berichten. Vielleicht hätte sie es sogar verstanden, warum er Nora damals hatte heiraten müssen, und ihm geglaubt, dass die Ehe nur auf dem Papier bestand. Aber er bezweifelte, dass sie ihm sein beharrliches Schweigen leichtfertig verzeihen würde, vor allem, nachdem sie sich ihre Liebe gestanden hatten. Und worüber sie ihm womöglich noch mehr zürnen würde, waren die Kälte und Gleichgültigkeit, mit denen er Nora stets behandelt hatte.
Sein Grübeln entging ihr nicht, denn sie blickte ihn mehrmals verwundert an. Aber sie fragte nicht nach – weder als sie anlegten noch als sie auf die Beiboote stiegen und zur Mole gebracht wurden. Sie hatten keinen Schirm wie manch andere, für nördlichere Gefilde besser ausgerüstete Passagiere, so dass Arthur ihr schützend den eigenen Mantel über die Schultern legte. Dennoch spürte er, wie sie zitterte, als sie endlich wieder auf festem Boden standen.
Nicht mehr voller Vorfreude wirkte sie wie in den letzten Tagen, sondern müde und verzagt, und auch Arthur sah sich ratlos um und wusste nicht recht, was er nun tun sollte. Das Schicksal kam ihm zuvor und nahm ihm diese Entscheidung ab – in Gestalt eines kleinen Bengels nämlich, rothaarig und sommersprossig. Trotz seines dünnen Gewandes schien er nicht zu frieren, und der Nieselregen konnte seiner Neugierde nichts anhaben, die ihn in den Hafen gelockt hatte, um große Dampfschiffe zu sehen. Eben noch hatte er ihres fasziniert gemustert, nun glitt sein Blick auf Arthur.
»Herr Arthur, Herr Arthur!«, rief er laut über die Menschenmenge hinweg und stürmte auf sie zu.
Arthur sah ihn nachdenklich an. Das Gesicht des Jungen kam ihm irgendwie vertraut vor, aber er wusste nicht, wie er es einordnen sollte.
»Sie sind wieder zurück! Da wird sich meine Großmutter aber freuen.«
Jetzt ging es ihm auf – dieser Bengel musste Flori sein, der Enkelsohn von Frau Christa, der Haushälterin der Hoffmanns.
»Meine Güte, wenn ich ihr sage, dass Sie wieder hier sind! Im Haus weiß es niemand. Und Großmutter wird es Ihnen übelnehmen, dass nichts vorbereitet ist.« Er zwinkerte Arthur vertraulich zu. »Aber wenn ich es ihr jetzt sage, dann bleibt ihr noch ein bisschen Zeit …«
Sprach’s, drehte sich um und war schon davongerannt.
»Warte!«, schrie Arthur ihm vergebens nach.
Wieder fühlte er Emilias verwunderten Blick auf sich, und diesmal konnte sie sich ihre Frage nicht verkneifen: »Hast du denn deine Ankunft nicht angekündigt?«
Er zuckte unschlüssig die Schultern. »Man weiß doch nie, wie lange die Reise dauert … Ich wollte niemanden aufregen. Ich komme meistens unangekündigt.«
Eine Weile blieb er gedankenverloren stehen. »Und nun?«, drängte Emilia, die noch stärker zitterte. »Sollen wir im Regen stehen bleiben?«
Arthur zögerte und rang nach einer Ausrede. »Ich würde dich gerne zu mir nach Hause bringen«, murmelte er. »Aber … aber … mein Onkel sieht es wahrscheinlich nicht so gerne …«
Er brach ab.
Emilia sah ihn erst verdutzt an, dann lachte sie aus voller Kehle. »Ach jetzt verstehe ich deine schlechte Laune und warum du immer so wortkarg wirst, wenn es um deine Familie geht!«, rief sie aus. »Du weißt nicht, wie du mich deinem Onkel vorstellen
Weitere Kostenlose Bücher