Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Jenseits von Feuerland: Roman

Jenseits von Feuerland: Roman

Titel: Jenseits von Feuerland: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
Vom Netzwerk:
dass er einem kleinen Mädchen Leid zufügt …«
    Noch bevor Rita sie abschütteln und ihr widersprechen konnte, trat Ana dazwischen: »Natürlich kannst du es dir vorstellen! Du weißt genau, wer er ist und wozu er fähig ist. Nur wahrhaben willst du es nicht, wolltest es noch nie!«
    Agustina stieß einen jämmerlichen Laut aus – halb Seufzen, halb Schluchzen, dann trat sie wieder zurück zur Bank und ließ sich darauf fallen. Wie ein kleines Häuflein Elend kauerte sie dort – gleich neben Don Andrea, der sie allerdings nicht beachtete, sondern im tiefen Gebet versunken war, seit Aurelias Verschwinden bekannt geworden war.
    Rita glaubte nicht, dass es half, allerdings war sie für jeden dankbar, der an ihrer Seite blieb. Allein wäre sie gewiss wahnsinnig geworden, nun, da der letzte Funken Abendrot von der Finsternis verjagt wurde und es immer kälter wurde. Wieder ging sie auf und ab, bis die Beine schmerzten, und als Balthasar sie erneut an sich zog, wehrte sie sich nicht gegen seine Umarmung.
    »In der Dunkelheit können wir nichts mehr tun. Wir müssen bis morgen früh warten. Du … du solltest dich ausruhen.«
    »Aber ich kann nicht schlafen!«
    »Dann setz dich wenigstens.«
    Sie ließ sich von ihm zur Bank führen, doch kaum saß sie still, hatte sie wieder das Gefühl, ihre Brust müsse zerspringen. Wie sollte sie einen Augenblick mit dem Wissen leben können, dass Aurelia in … ihren Händen war? Aber sie musste ihre Fassung wiedererlangen, nicht um ihrer selbst, sondern um Aurelias willen.
    Mit aller Macht unterdrückte sie die Panik und beschwor die Tochter im Stillen: Du musst durchhalten, mein Mädchen, ganz gleich, was geschieht, hörst du? Was immer sie dir antun, du musst durchhalten, du musst stark sein … ich bin bei dir, zumindest in Gedanken, ich halte dich fest … ich …
    Agustina schluchzte neben ihr auf. Rita zuckte zusammen und rückte dann hastig ab; unerträglich war es ihr, nahe bei ihr zu sitzen. Gewiss, da war auch ein wenig Mitleid mit dieser alten Frau, die vor Gram verging, aber zugleich ohnmächtige Wut. Egal, wie sehr sie es bedauerte, was er getan hatte – sie blieb Estebans Mutter.
    »Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie einem kleinen Mädchen Leid antun …«, murmelte sie wieder.
    Rita öffnete den Mund, wollte sie nicht minder rüde anfahren wie vorhin Ana, aber dann sagte sie nichts, klammerte sich vielmehr an diese Worte wie an einen letzten Strohhalm.
    Hatte Agustina vielleicht doch recht? Ließen sich selbst finstere Männer wie Esteban und Jerónimo von einem hübschen, unschuldigen Kind rühren? Dachten sie daran, dass einer von ihnen ihr Vater war? Und auch wenn sie sie abfällig Rothaut nannten – sie konnten doch ihrem eigenen Fleisch und Blut nichts antun!
    Trotz ihrer Zweifel versuchte sie, daran zu glauben – mit gleicher inbrünstiger Hoffnung, mit der Don Andrea die nächsten Stunden über betete und Gott um Hilfe anflehte.
    Mein Mädchen … mein armes Mädchen … Du musst durchhalten, hörst du?
    Rita wusste nicht, wie Maril es gelungen war, so schnell seine Männer zusammenzuholen, ob mit heimlichen Rauchzeichen oder dem Klang der Flöte, die er im Morgengrauen zu spielen begonnen hatte, aber als diesiges Licht die Schwärze vom Himmel wusch, ertönte plötzlich Pferdegetrampel. Rita stürzte hinaus in den Patio und sah Maril erstmals unter seinesgleichen. Das halbe Dutzend Männer, das ihn umkreiste, war so groß und breit wie er, hatte die gleiche dunkle, glatte Haut, die weißen Zähne, die langen, schwarzen Haare. Nur die Sprache, in der sich Maril mit ihnen verständigte, war Rita völlig fremd. Rauh und kehlig klang es und zugleich gurgelnd. Don Andrea hatte einmal behauptet, dass die Tehuelche so sprächen, als knackten sie Nüsse zwischen den Zähnen – und dieser Vergleich hatte durchaus etwas für sich.
    Die Männer blickten an ihnen allen vorbei und konzentrierten sich ganz auf Maril. Es musste eine große Überwindung gewesen sein, seinem Ruf zu folgen, ging es Rita durch den Kopf, da sie doch ihr Leben riskierten, wenn sie Weißen zu nahe kamen.
    Sie musterte sie eingehender, sah manches, was ihr von Maril vertraut war, und zugleich viel Fremdes. Um die Hüften trugen sie einen Gürtel aus einem Stück Fohlenleder, dessen Spitze mit einem dreieckigen Metallstück versehen war. Drei kleine Löcher waren hineingestanzt worden, um ihn zu schließen. Über der Brust waren es Broschen, mit denen sie ihre Guanakofelle

Weitere Kostenlose Bücher