Jenseits von Feuerland: Roman
sie mit samtig leiser Stimme. »Flori ist mir über den Weg gelaufen und hat mir von deiner Ankunft berichtet. Und damit du mich nicht wieder vor deinem Onkel beschämst wie schon so oft, dachte ich, ich sorge dafür, dass du diesmal in angemessenem Aufzug vor ihm erscheinst.«
Erst jetzt ging ihm auf, dass er sie noch nie hatte laut sprechen hören – nicht so wie Emilia, die schreien und fluchen und befehlen und lachen konnte.
Nun aber, als Emilia erst ihn, dann Nora anblickte und fragte: »Wer ist das?« – da lag auch in ihrer Stimme kaum Kraft.
Nora trat ein Stückchen näher. »Nora Hoffmann. Geborene van Sweeten. Ich bin Arthurs Ehefrau.«
Erstmals traf sich ihr und Arthurs Blick. Er hielt ihm nicht stand, sondern schloss die Augen. Er fühlte, wie ein Ruck durch Emilias Körper ging, wie sie offenbar etwas sagen wollte, aber sie kam nicht dazu.
»Sie können es sich ersparen, sich selbst vorzustellen«, fuhr Nora mit samtiger Stimme fort. »Ich sehe es auf den ersten Blick, dass Sie eine seiner Huren sind. Nicht die erste und gewiss nicht die letzte. Kommst du, Arthur? Und wag es nicht, dieses Weib mitzunehmen!«
Sie winkte den Kutscher zu sich heran, senkte dann den Schirm tief über ihr Gesicht. Der Regen war wieder etwas stärker geworden.
Viertes Buch
Der blaue Tod
1892
33. Kapitel
S ie haben sie entführt!«, schrie Rita verzweifelt. »Ich weiß genau, dass es die beiden waren! Esteban und Jerónimo! Sie tun es, um mich zu quälen! Sie haben mein Kind entführt!«
Unruhig ging sie in der Küche auf und ab, nachdem sie stundenlang vergeblich die Estancia durchforscht hatten. Nirgendwo war auch nur die geringste Spur von Aurelia zu entdecken gewesen.
Balthasar hatte die ganze Zeit über versucht, Rita zu trösten, hatte ihr eingeredet, dass Aurelia sich vielleicht nur verlaufen hatte, doch seit sie hinten, beim Schafmist, die Abdrücke von Männerstiefeln gefunden hatten und dazwischen die viel kleineren Spuren, die von Aurelias Füßen stammten, war er schweigsam und nachdenklich geworden.
»Was sollen wir denn nun tun?«, schrie Rita. Nie hatte sie ähnliche Panik gefühlt – nicht einmal in der finstersten Stunde, da sie Esteban und Jerónimo ausgeliefert gewesen war. Damals hatte sie zumindest gewusst, was geschah. Nun wusste sie es nicht, konnte es sich nur vorstellen … ein kleines Mädchen … in den Händen dieser bösartigen Kreaturen … die beide auf Zerstörung und Rache aus waren.
»Wir hätten ihn töten sollen«, bemerkte Ana finster, »das wäre das Einfachste gewesen.«
Auch sie hatte sich rege an der Suche beteiligt – genauso wie Maril, der nun den Kopf schüttelte. »Es nützt nichts, jetzt darüber zu hadern. Wir müssen herausfinden, wohin sie sie gebracht haben. Niemand kennt das Land so gut wie ich, also werde ich nach ihr suchen. Und ich werde einige Männer meines Volkes zu Hilfe holen.«
Ana blickte ihn erstaunt an. »Ich dachte, sie wären alle tot.«
»Mein Stamm – ja. Aber manchmal jage ich mit Gefährten von einem anderen Stamm …«
Balthasar hatte alles stirnrunzelnd mit angehört – nun gab er sein nachdenkliches Schweigen erstmals auf. »Es ist eine gute Idee, wenn du auch fern der Estancia nach ihr suchen willst, aber vielleicht sollten wir überdies die Obrigkeit einschalten?«
»Wo denkst du hin?«, rief Rita. »Es gibt hier keine Obrigkeit, wie du es nennst! Hat uns irgendjemand geholfen, als Esteban und Jerónimo uns seinerzeit angegriffen haben? Wir mussten uns selbst mit Gewehren verteidigen. Und außerdem – Aurelia ist für alle anderen nur ein kleines Indianermädchen. Was zählt es für einen Weißen, ob sie lebt oder tot ist?«
Ihre Stimme brach, Tränen traten in ihre Augen. Ihr Herz hämmerte so schmerzhaft gegen die Brust, dass sie vermeinte, es würde gleich zerspringen.
Balthasar trat auf sie zu und packte sie fest an den Schultern, da sie wankte. »Beruhige dich! Ich bitte dich, du darfst jetzt nicht die Hoffnung verlieren, schon um Aurelias willen …«
Er umarmte sie, und kurz ließ sie es zu, doch dann riss sie sich rüde los. An seiner Stelle trat nun Agustina an Ritas Seite, versuchte, nach ihrem Arm zu greifen. In den letzten Stunden schien sie förmlich geschrumpft zu sein, ihre Haut war noch bleicher und faltiger als sonst; ihr Blick flackerte und konnte dem von Rita kaum standhalten. Sie schien mit sich zu kämpfen, ob sie etwas sagen solle, und stieß schließlich aus: »Ich kann mir nicht vorstellen,
Weitere Kostenlose Bücher