Jenseits von Feuerland: Roman
»Einen guten Anwalt. Wenn du schon den Richter nicht kennst – dann vielleicht einen solchen …«
»Pah!«, machte Ernesta und wedelte sich mit einem Fächer Luft zu. »Du bist mir eine! Bei mir haben viele Menschen Schulden, aber niemand so hohe, dass er ernsthaft darum kämpfen würde, Rita frei zu bekommen. Weil es nämlich absolut zwecklos ist!«
»Aber ich muss ihr irgendwie helfen!«, rief Ana, um dann verzweifelt zu bekennen, was ihr wie ein Schatten auf der Seele lag: »Ich … ich bin in gewisser Weise doch schuld an dem, was geschehen ist. Ich selbst habe Rita die Pistole gegeben und habe ihr sogar gesagt, dass sie nicht daneben zielen sollte. Aber ich hätte mir nie vorstellen können, dass es so endet! Ich wollte doch nur, dass sie sich verteidigen kann, falls es zum Kampf kommt und sie sich und Aurelia schützen muss. Aber nun …« Sie brach ab – einerseits erleichtert, weil sie endlich hatte aussprechen können, was sie so quälte, andererseits beschämt, dass sie ausgerechnet vor Ernesta dieses Bekenntnis gemacht hatte.
Diese hatte seelenruhig zugehört und ließ jetzt den Fächer sinken. »Du kannst sagen, was du willst«, murmelte sie, »es war Ritas Entscheidung, abzudrücken – nicht deine. Wenn du hättest verhindern wollen, was geschehen wäre, hättest du dich beizeiten zwischen sie und Esteban werfen müssen – jetzt aber ist es zu spät. Wahrscheinlich hättest du es sogar getan, nicht wahr? Ich meine, dich vor Esteban zu werfen, damit man Rita nicht des Mordes anklagen kann. Du bist eine verdammt treue Haut – zumindest Emilia und Rita gegenüber. Mir gegenüber warst du treulos. Von mir wolltest du dich immer nur befreien.«
»Kein Wunder!«, gab Ana barsch zurück. »Du denkst nur an dich und an das Geld, das du mit uns Mädchen scheffelst. Emilia und Rita waren nach dem Tod meiner Eltern die ersten Menschen, die freundlich zu mir waren.«
Ernesta verdrehte die Augen und wedelte ungeduldig mit dem Fächer. Dann wurde ihr Blick kurz anerkennend: »Ich hätte ja nie geglaubt, dass Rita einen Mann erschießt. Schon gar nicht Esteban, vor dem sie so viel Angst hatte. Emilia war immer stark, ohne Zweifel, mit ihr lassen sich gute Geschäfte machen, aber Rita war ein Blatt im Wind.«
Ana schüttelte den Kopf. »Das habe ich früher auch gedacht, aber damit tut man ihr unrecht. Immerhin hat sie … überlebt. Das, was ihr als junges Mädchen zugestoßen ist, als man ihr ganzes Dorf ausrottete. Und auch das, was Esteban und Jerónimo ihr angetan haben. Sie hat sogar ihr Kind angenommen. Sie will … sie wollte heiraten, und sie hat so gerne gewebt und Stoffe gefärbt.«
»Aber zum richtigen Preis verkauft hat diese Stoffe gewiss Emilia, oder nicht?«, höhnte Ernesta.
Ana trat näher an sie heran und ignorierte den süßlichen Geruch. Plötzlich war ihr der enge Raum nicht unerträglich, sondern einfach nur widerwärtig. »Rita mag nicht so hart sein wie wir, aber sie hat nicht aufgegeben, ganz gleich, was ihr zugestoßen ist. Sie hat sich nicht verboten, glücklich zu sein, hat vielmehr die Liebe zugelassen – die Liebe zu Balthasar und zu Aurelia. So schwach kann sie also gar nicht sein, denn ich glaube, dass man sehr, sehr stark sein muss, um glücklich zu werden. Es ist so viel leichter, sich zu verhärten und sämtliche Gefühle abzutöten, doch wenn man die hässlichen, bitteren verneint, bringt man sich auch um die warmen, schönen. Innerlich zu verhärten ist nichts, worauf man stolz sein kann. Und schon gar nichts hat es mit Stärke oder Mut zu tun. Vielleicht ist es die größte Schwäche, die größte Feigheit überhaupt.«
Selten hatte sie in den letzten Jahren so viele Worte auf einmal über ihre Lippen gebracht, schon gar nicht unüberlegte, unbedachte. Heiß stieg ihr das Blut ins Gesicht.
Ernesta hatte sich etwas erhoben, ihr Blick war immer noch stechend. War jemals anderes darin gestanden als Habgier und Geiz? Hatte sie irgendwann andere Träume gehabt, als viel Geld zu machen und sich die Heimstatt mit teuren Möbeln vollzustopfen?
»Willst du eigentlich gerade mich von etwas überzeugen oder dich selbst?«, fragte sie spitz. »Hör gut zu, Ana, ich lass mich nicht von dir beschimpfen, weil wir uns doch so ähnlich sind, fast wie Schwestern. Wir sind beide Überlebende, Ana, und das Überleben macht nun mal roh.«
»Nein, wir sind keine Schwestern«, begehrte Ana auf. »Im Gegensatz zu dir habe ich nie Geld gebraucht, nur Freiheit.«
»Aber man
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