Jenseits von Feuerland: Roman
schaffen, dem Organismus die verlorene Wärme wiederzugeben und den Wasserverlust auszugleichen.
Darum hatte sie ihm unverdünnte Dosen von je einem halben Gramm Salol und Kalomel gegeben und ihm außerdem mit Mühe an die zwei Liter mit zweiprozentiger Gerbsäurelösung eingeflößt. Streng hatte sie darüber gewacht, dass tatsächlich Gerbsäure genommen wurde und nicht etwa Kreolin oder Seife, zu denen man überging, weil Gerbsäure knapp wurde und beides obendrein billiger war.
Seinen Zustand hatten diese Maßnahmen nicht sonderlich verbessert. Als er eingeliefert worden war, hatte sein Gesicht noch geglüht, doch bald hatte sich die Körpertemperatur wie bei jedem Cholerakranken auf 36 Grad abgekühlt. Zuerst hatte er nur gezittert, dann war sein Leib immer öfter von Krämpfen gemartert worden. Sie hatte ihn mit Hilfe einer anderen Schwester gebadet, ihm heißen Tee und Kaffee eingeträufelt, schließlich Wein, in dem sie Kampfer aufgelöst hatte. Immerhin hatten die Krämpfe nachgelassen, aber sein Puls ging zunehmend schwächer. Ein Arzt hatte daraufhin Infusionen aus Kampferöl und Äther angeordnet, doch sein Gesicht war so skeptisch, als wäre dies verlorene Liebesmüh. Emilia wollte sich nicht auf die Wirkung der Infusionen verlassen, sondern versuchte, den Kreislauf mit Frictionen zu stärken, indem sie ihn mit in Rum stark angefeuchteten Bürsten abrieb. Auch das hatte kaum Besserung gebracht.
»Wir könnten einen Aderlass mit Blutegel machen«, hatte Nora vorgeschlagen. Bis dahin hatte sie Emilia und Arthur nur aus der Ferne beobachtet, sich jedoch nie in die Behandlung eingemischt. Nun hatte sie sich nicht länger zurückhalten können.
»Blutegel sind knapp«, hatte einer der Ärzte mürrisch erklärt – ausgerechnet Dr. Hufnagel. Statt des Aderlasses hatte er vorgeschlagen, Salzsäure, Strychnin und Arsen zu verabreichen – bei manchen Patienten würde das wie ein Abführmittel wirken, das sämtliches Gift aus dem Körper schwemme.
»Aber ebenso viele werden gerade von diesen Medikamenten vergiftet und sterben, wenn auch nicht an der Cholera, so daran«, hatte Nora dagegengehalten.
Dr. Hufnagel schien sichtlich verärgert, aber ausnahmsweise zeigte er es nicht. »Er ist schließlich Ihr Mann«, hatte er knapp bekundet.
Die Worte hatten Emilia kurz einen heftigen Stich versetzt, doch sie gab dem Anflug von Eifersucht nicht nach, zumal Nora die Entscheidung ihr überließ.
»Ja, er ist mein Mann«, hatte Nora später leise zu ihr gesagt, »zumindest vor dem Gesetz. In meinem Herzen war er’s nie.« Sie runzelte die Stirn, ihr Blick trübte sich leicht und schien in die Vergangenheit zu schweifen.
»Haben Sie es sich je gewünscht?«, fragte Emilia, obwohl sie sich bei jedem Wort unwohler fühlte. »Ich meine – auch im Herzen, in seinem und in Ihrem, seine Frau zu sein.«
Der Blick von Nora blieb verschleiert, bis sie plötzlich abrupt den Kopf schüttelte. »Nein. Eigentlich nie«, sagte sie knapp, und ehe Emilia noch etwas sagen oder fragen konnte, erklärte sie mit kühler Stimme: »Entscheiden Sie sich für die richtige Behandlungsmethode. Es scheint mir weit mehr Ihr Recht zu sein als meines. Wenn Sie es mit Salzsäure und Arsen versuchen wollen …«
»Sie haben gewiss gute Gründe, sich dagegen auszusprechen«, murmelte Emilia.
Später saß sie tatenlos an Arthurs Bett.
Die Welt schien geschrumpft zu sein – sie hörte die anderen Kranken nicht, nicht die Schwestern und die Ärzte, die durch die Säle huschten. Sie war ganz allein – allein mit Arthur, der so flach atmete, dessen Gesicht immer noch die bläuliche Farbe trug, dessen Haut trotz aller Flüssigkeit, die sie ihm gegeben hatte, gewellt war. Immerhin schien er keine Schmerzen mehr zu haben, er stöhnte und schrie nicht mehr. Erst jetzt, in dieser Stille, konnte sie sich der Wahrheit stellen: Seine Überlebenschance war denkbar gering. Jeden Augenblick konnte sein Herz aussetzen.
Offenbar befürchtete auch Nora Gleiches, denn immer wieder kehrte sie zurück an sein Krankenbett, und der Ausdruck ihrer Augen wurde zunehmend resignierter. Als sie nun Emilia sachte über die Schultern streichelte, konnte diese ihre Tränen nicht zurückhalten. »Ich wollte, dass er aus meinem Leben verschwindet«, brach es aus ihr hervor, »aber doch nicht, dass er stirbt!«
»Sie lieben ihn sehr«, stellte Nora ruhig fest.
Emilia versteifte sich. Die Angst um Arthur hatte nicht jede Kränkung auslöschen können.
»Wie
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