Jenseits von Feuerland: Roman
und …«
»Nein!«, unterbrach sie ihn heftig. »Es sind keine schweren Gedanken. Es hat nichts damit zu tun, was er meiner Mutter angetan hat, ich will vielmehr …« Sie brach ab, löste ihren Blick vom Horizont und wandte sich ihm zu. »Weißt du, aus meiner Mutter wurde ich nie recht schlau, es war oft schwer, an ihrer Seite zu leben und mit ihr zurechtzukommen, aber trotz allem: Ich kannte sie. Ich weiß, wie sie aussah, wie sie war, wie sie sein konnte. Ich kann mich an ihr Gesicht erinnern, an ihre Gestalt, an ihre Stimme. Aber von Viktor weiß ich rein gar nichts. Keiner hat je von ihm gesprochen, es gibt kein Bild von ihm.«
»Vielleicht ist das ganz gut so«, murmelte er.
»Das Einzige, was meine Mutter Greta über ihn erzählt hat, war, dass er verrückt gewesen sei. Aber ist er das wirklich sein Leben lang gewesen oder erst im Laufe der Zeit geworden? Wie war er früher? Wie war er als Kind? Elisa hat einmal angedeutet, dass er sehr sensibel gewesen ist und unter den Schlägen seines Vaters gelitten hat. Vielleicht war er gar nicht böse und verkommen und wahnsinnig, nicht von Grund auf zumindest. Vielleicht war er eigentlich ein Mensch voller Hoffnungen, der sich nichts mehr wünschte, als ein gutes, zufriedenes Leben zu führen.«
»Du wirst es nie erfahren.«
Emilia nickte nachdenklich. »Das nicht. Aber Elisa meinte, ich müsste vor dem Erbe meiner Eltern keine Angst haben. Sie hätten beide ihre guten Seiten gehabt – und diese würden in mir lebendig werden. Und siehst du, genau deswegen will ich …« Sie brach abermals ab, zögerte.
»Was willst du?«
»Ich will nicht, dass mein Vater ein dunkler Fleck in meinem Leben ist, an dem niemand rühren und auf den niemals Licht fallen darf. Ich will die Namen meiner Eltern aussprechen, ohne vor Furcht und Unbehagen und Ohnmacht zu vergehen. Rita hat das doch auch gelernt – ihrer Vergangenheit nicht zu entfliehen, sondern mit ihr zu leben.«
Nun endlich trat sie von der Reling zurück.
Am Ufer wirbelte der Wind Staub und Sand auf und trug beides Richtung Schiff. Dahinter ballte sich die Sonne, eben noch von Dunst zerfranst, zu einer glühenden Faust. Kurz schien der graue Himmel zu brennen, das Meer leuchtete ein letztes Mal golden auf, dann sog die Nacht alle Farben aus dem Land. Das Wasser wurde pechschwarz, und bleich trat am Abendhimmel die Mondsichel hervor.
Sie griff nach Arthurs Hand und streichelte darüber. »Ich glaube, wir werden eine Tochter bekommen«, murmelte sie, um etwas bissig hinzuzusetzen: »Was auch gut ist, ihr Männer seid ja doch nicht zu gebrauchen.« Ihr Lächeln strafte die schroffen Worten Lügen.
Arthur neigte sich vor und küsste sie auf die Halsbeuge.
»Zu gar nichts?«, fragte er gedehnt.
»Na gut, zu dem ein oder anderen schon.« Ihr Lächeln verstärkte sich, dann wurde sie wieder ernst. »Es wird eine Tochter«, bekräftigte sie, »und ich möchte, dass sie Victoria heißt. Als Zeichen, dass ich nicht die Augen vor meiner Herkunft verschließe. Dass ich mit ihr leben muss und werde und dass ich das Beste daraus machen will.«
Arthur zog sie fest an sich. Der Wind heulte ums Schiff.
»Victoria, die Siegerin«, sagte er leise, »ich könnte mir keinen besseren Namen für unser Kind vorstellen.«
Personenverzeichnis
Die deutschen Auswanderer am Llanquihue-See
Emilia Suckow
Manuel Steiner, ihr Verlobter
Annelie von Graberg, Barbara Glöckner, Christine Steiner, einflussreiche Frauen der Siedlung
Elisa Steiner, Manuels Mutter
Cornelius Suckow, Emilias Ziehvater
Ureinwohner Chiles
Mapuche-Mädchen, genannt Rita
Quidel, ihr Vater
Maril, Tehuelche in Patagonien
Auf Reisen und in Punta Arenas
Pedro el Ballenero, Walfänger
Ernesta Villan, Bordellbesitzerin
Anastasia, genannt Ana, russisches Freudenmädchen
Agustina Ayarza, Herbergsmutter
Esteban Ayarza, ihr Sohn
Jerónimo Callisto, Erbe eines reichen Reeders
Juanita, eine Amme
Serafina und Titia, Ernestas Huren
Missionare
Bruder Franz, Missionar bei den Mapuche
Don Andrea, Salesianer-Pater in Patagonien
In Hamburg
Arthur Hoffmann, Apotheker
Balthasar Hoffmann, Arthurs Verwandter und bester Freund
Gustav und Minna Hoffmann, Arthurs Onkel und Tante
Frau Christa, die Haushälterin der Hoffmanns
Flori, Frau Christas Enkelsohn
Nora van Sweeten, Arthurs Ehefrau
Clarissa, Eleonore und Doktor August van Sweeten, Noras Familie
Dr. Hufnagel, Arzt des Alten Krankenhauses von St. Georg
Schwester Margarethe, eine Krankenschwester
In Sanct Pauli
Hella
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