Jenseits von Feuerland: Roman
es betreten, die Tür hinter sich zusperren und war ganz allein in einer Welt, in der Soldaten keine Mapuche erschossen und zwei schutzlose Frauen nicht auf einer Schaluppe über den wilden Ozean segelten. In dieser Welt wurden Frauen vielmehr von edlen Kavalieren beschützt, fanden ihr Lebensglück und konnten sich für den Rest ihrer Tage an erlesenen Speisen ergötzen und sich in edelste Gewänder kleiden. Lesen war für Rita träumen, und diese Träume waren nicht finster und unheilvoll, sondern warm und licht.
Selbst wenn sie gerade nicht darin las, zog sie Trost aus dem Roman – so auch jetzt, da Emilia an Deck gegangen war und sie manchen Dialog aus dem Buch vor sich hin murmelte, um die Zeit zu überbrücken, bis die Gefährtin wiederkehrte. So sehr darin vertieft, hörte sie nicht, wie jemand die schiefen Stufen heruntergeschritten kam. Erst als ein Schatten auf sie fiel, verstummte sie. Ihr Blick fiel auf fremde Schuhe, eine fremde Hose und schließlich auf ein Gesicht, in dem ein spöttisches Lächeln stand.
Mit einem Aufschrei fuhr sie hoch.
»So allein, schönes Mädchen?«
Es war Esteban, der vor ihr stand – der Mann mit dem räudigen Bart und den strähnigen Haaren, die fast seine Augen bedeckten. Sie hatte versucht, nicht mehr an ihn zu denken – doch nun erinnerte sie sich wieder daran, wie er erst grimmig geschimpft und sie später böse angelächelt hatte, nachdem Pedro sie an Bord gebracht hatte.
Auch jetzt war Estebans Gesicht verzerrt und hatte nichts mit dem gutmütigen von Pedro gemein.
»Ich hatte unrecht«, stellte er mit einer Stimme fest, die quietschte wie eine ungeölte Tür. »Frauen bringen doch kein Unglück. Noch haben wir keinen echten Sturm erlebt und auch keine tagelange Flaute.«
Rita wollte zurückweichen und stieß dabei ihren Stuhl um, der laut krachend nach hinten kippte. Sie sprang hastig darüber und presste sich schutzsuchend an die Wand, als Esteban langsam näher trat. Kaum einen Schritt vor ihr blieb er stehen. Er hob seine Hände, ließ sie fast nachlässig, eher so, als wäre es Zufall statt Absicht, über ihren Oberarm streichen. Ein kalter Schauer lief über ihren Rücken. Das Netz, das sie geflickt hatte, hatte sie längst fallen lassen. Um jetzt noch an Esteban vorbeizukommen, müsste sie sich an ihm vorbeidrängen – was bedeutete, dass sie nicht nur seinen Körper zu fühlen bekommen würde, sondern auch den heißen Atem. Sie kämpfte gegen ihre Angst an, kniff die Augen zusammen und duckte sich, um unter seinen Armen durchzuschlüpfen. Kurz sah es so aus, als würde er sie tatsächlich gehen lassen, doch kaum wollte sie über den umgekippten Stuhl steigen, packte er ihren Oberarm – diesmal nicht zufällig, sondern schmerzhaft fest – und zerrte sie zurück.
»Wohin so eilig, mein Mädchen?« Es klang höhnisch.
Rita versuchte, ihren Arm zu befreien, aber sein Griff war unerbittlich.
»Ich muss zu … zu … zu Emilia«, stammelte sie.
»Die kommt sicher auch allein zurecht«, lachte Esteban.
Er war nicht besonders groß, bei weitem nicht so groß wie Pedro, doch in seinen Händen steckte eine ungeheure Kraft. Rita erkannte, dass sie unmöglich den Kampf mit ihm aufnehmen konnte und dass ihr nichts anderes übrigblieb, als auf Emilias baldige Rückkehr zu hoffen. Als sie sich wieder kraftlos an die Wand lehnte, lockerte sich sein Griff. Stattdessen stellte er sich nun breitbeinig vor sie und beugte seinen Kopf zu ihrem Gesicht.
»Emilia ist ein richtiges Mannweib«, sagte er. »Du hingegen bist die Sanftere, nicht wahr? Und du hast so schöne dunkle Haare!«
Wieder hob er langsam die Hand, strich über ihr Haar. Sie ertrug es nur mit Mühe, verbiss sich jeden Aufschrei, denn gewiss würde es ihn noch mehr anstacheln, wenn sie ihm ihre Furcht zeigte. Vielleicht ließ er so schneller von ihr ab, vielleicht verlor er sein Interesse an ihr. Doch die Hand glitt tiefer, streichelte über ihr Gesicht, dann über den Nacken, drohte nun, zu ihren Brüsten zu fahren.
Unbeholfen, aber energisch stieß sie die Hand fort.
»Lassen Sie mich in Ruhe!«, schrie sie auf.
Schlagartig verschwand das Lächeln von seinen Lippen.
»Jetzt gib dich doch nicht störrisch«, murrte er. »Jeder kann sehen, dass du nichts weiter als eine Indianerhure bist.«
Rita erstarrte. Sie spürte kaum, wie er sie an den Schultern packte, gegen die Wand stieß und seinen Körper an ihren presste. Dass er sie wieder befingerte, viel roher und gieriger nun, ging in
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