Jenseits von Feuerland: Roman
einem Gedanken unter, der so laut in ihrem Kopf rauschte wie ihr Blut: Er wusste, wer sie war. Er sah in ihr die Mapuche, nicht die Spanierin, die sie sein wollte.
Erst als er an ihrem Hemd zerrte, konnte sie sich aus der Starre lösen und versuchte, seine Hände wegzuschlagen.
»Bitte nicht!«, flehte sie.
»Ach komm schon! Ich will doch nur ein bisschen Spaß mit dir haben. Niemand muss es wissen.«
Kurz gab er ihre Hände frei und machte sich an seinen Hosen zu schaffen. Sie wollte sich erneut an ihm vorbeidrängen, doch da hatte er sie abermals gepackt, diesmal nicht an den Schultern, sondern am Nacken, und warf sie auf den Tisch. Ihre Stirn prallte hart auf die Platte.
»Hilfe!«, wollte sie schreien und wieder: »Bitte nicht!«
Doch da legten sich bereits seine schwieligen Hände über ihren Mund, und sie konnte keinen Laut mehr von sich geben, nur mehr würgen.
»Halt still!«, murrte er. »Dann ist es gleich vorbei!«
Erneut schlug ihr Kopf auf die Tischplatte. Sie spürte, wie er an ihrem Kleid riss, es über ihre Beine hochschob, gewaltsam ihre Schenkel spreizte.
Ich sterbe, dachte sie, ich sterbe …
Sie starb nicht – und sie bedauerte es. Denn so musste sie alles miterleben: Wie ihr die Luft ausging, wie sie erst seine rohen Hände, dann sein hartes, heißes Geschlecht an der Innenseite ihrer Schenkel fühlte, wie er seine Hand von ihrem Mund nahm und in ihr Gesicht schlug, damit sie endlich stillhielt. Als der Schlag sie traf, hatte sie das Gefühl, ihre Haut würde in Flammen stehen. Nun hätte sie den Mund frei gehabt, um zu schreien, aber sie konnte nicht. Ein fremdes Schreien echote stattdessen in ihren Ohren – das Schreien der Frauen ihrer Mission, die von den Soldaten geschändet und ermordet worden waren. Und inmitten aller Panik stieg ein nüchterner Gedanke in ihr hoch: Was immer ihr dieser Esteban antat – vielleicht verdiente sie es, vielleicht durfte sie sich ihrem Schicksal nicht davonstehlen, vielleicht war es ein Fehler gewesen, ein schwerer Fehler, zu glauben, sie könnte einfach eine Spanierin sein, wenn sie es denn nur wollte.
Plötzlich wurde das Schreien in ihrer Erinnerung von einem spitzen Gellen zerrissen. Estebans Hände ließen sie los, und statt seiner hitzigen Haut fühlte sie einen kalten Lufthauch. Noch einmal ertönte dieses spitze Gellen, diesmal von einem Krachen gefolgt. Eine Weile blieb sie wie erstarrt liegen, dann hob sie den Kopf und sah es – sah, dass Esteban nicht nur von ihr zurückgewichen, sondern auf den Boden gekippt war.
Rita starrte ihn an, ohne zu begreifen. Erst als jemand grimmig ausstieß: »Was für ein Mistkerl!«, erblickte sie Emilia – in ihren Händen eine Eisenpfanne, mit der sie auf Esteban eingeschlagen hatte und die sie immer noch drohend hoch erhoben hielt.
»Emilia …«, stammelte Rita.
Die Gefährtin ließ die Pfanne sinken, stürzte zu ihr und zog sie hoch. »Mein Gott, Rita! Geht es dir gut? Hat er dir etwas angetan?«
Das Bild vor Ritas Augen zerstob in viele kleine Funken. Sie war so verwirrt, als wäre sie aus einem Alptraum erwacht, einem dunklen Reich voller Schmerzen und Angst und Schande. Erst nach einer Weile hatte sie genügend Kraft, um sich ihren Rock über die nackten Schenkel zu ziehen.
»Nichts … es ist nichts passiert …«
Emilia wirkte sorgenvoll, hob ihre Hand und wollte über ihr Haar streichen.
Doch da schrie Rita auf. Emilias Schlag auf Estebans Schädel war zu schwach gewesen und hatte ihn nur kurz außer Gefecht gesetzt. Schon kam er wieder zu sich, stützte sich mit seinen Händen auf, kam schließlich wieder zum Stehen. Sein Gesicht war wutverzerrt, und da das Haar wirr vom Kopf abstand, konnte Rita erstmals die Haut seiner Stirn sehen. Sie war narbig und weiß wie seine Wangen.
»Verfluchte Weiber!«
Er achtete nicht auf Rita, sein ursprüngliches Opfer, sondern ging mit erhobenen Händen auf Emilia los. Diese drehte sich um und wollte zurückweichen, doch da hatte Esteban sie bereits am Hals gepackt. Erst schüttelte er sie, dann begann er, sie zu würgen. Rita sah, wie Emilia sich zu wehren versuchte und verzweifelt an seinen Händen zerrte, doch sein Griff war stählern, und zuletzt konnte sie nichts anderes als röchelnde Laute ausstoßen. Die Augen quollen aus ihren Höhlen.
Rita schrie, schrie und schrie – und verstummte plötzlich. Auch die Erinnerungen an die Schreie der Frauen, die immer noch in ihren Ohren echoten, verstummten. Ganz still wurde es in ihrem
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