Jenseits von Feuerland: Roman
Dorf kündeten.
Pedro folgte ihrem Blick. »Er kann froh sein, dass wir ihn hier zurücklassen und nicht in der Wildnis«, grollte er.
Estebans wilde Beschimpfungen, als man ihn an Land zerrte, ignorierte er. Er brüllte von Geld, das Pedro ihm noch schuldete, von Indianerhuren, die nichts wert wären, und dass er, Pedro, ein Feigling sei, weil er seit Jahren keinen Wal mehr gefangen hätte. In Emilia stieg ein ähnliches Zittern hoch, wie es Rita beutelte, und sie war zutiefst erleichtert, als die Schaluppe wieder ablegte und Estebans Stimme immer leiser wurde, ehe sie ganz verstummte.
Pedro musterte indessen Mann für Mann. »Falls es irgendjemand immer noch nicht begriffen hat«, dröhnte er. »Niemand vergreift sich an den beiden Frauen!«
Schweigend machten sich alle wieder an ihre Arbeit. Emilia trat zu Pedro und zupfte vorsichtig an seinem Ärmel. »Danke«, murmelte sie.
»Hast mir nichts zu danken«, gab er hastig zurück. »Ich habe euch etwas versprochen, daran halte ich mich.«
Seine Stimme klang barsch, doch in seinen Augen glänzte es. Nun, da sein Ärger auf Esteban nachgelassen hatte, gefiel er sich in der Rolle des Beschützers offenbar ganz gut.
Emilia stieg wieder nach unten in der Kombüse, wo Rita zitternd auf dem Boden hockte. Emilia hatte keine Ahnung, wie sie sie beruhigen sollte. Sie setzte sich zu ihr, umarmte und streichelte sie, redete raunend auf sie ein und bekräftigte immer wieder, dass ihr nun nichts Schlimmes mehr passieren könne. Doch Rita sagte kein Wort, sondern starrte mit weit aufgerissenen Augen vor sich hin.
»Er ist weg«, tröstete Emilia sie. »Esteban hat das Schiff verlassen. Er kann dir nun nichts mehr antun, und du musst ihn auch nie wieder sehen.«
Rita erschien ihr noch kleiner und zarter als sonst. »Er wusste, wer ich bin!«, stieß sie hervor. »Er hat erkannt, dass ich eine Mapuche bin!«
»Ach Rita«, seufzte Emilia, »das ist doch nichts, wofür du dich schämen musst.«
Nun endlich ließ das Zittern ein wenig nach. Energisch schüttelte sie den Kopf. »Alle Männer werden die Mapuche in mir sehen! Und keiner wird mich wollen! Kein Mann wird mich jemals lieben … so wie Manuel dich geliebt hat.«
Erst nach einer Weile begriff sie, was sie da gesagt hatte, und biss sich auf die Zunge.
»Es tut mir leid«, stammelte sie und sah nun aus, als würde sie gleich weinen, »ich wollte dich nicht an ihn erinnern, ich wollte nur …«
»Es ist gut«, unterbrach Emilia sie schroff, »du musst dich nicht rechtfertigen.«
Doch der ausgestandene Schrecken bewog Rita eine Frage zu stellen, die sie bis jetzt für sich behalten hatte.
»Ich verstehe es einfach nicht«, setzte sie vorsichtig an, »ich meine, warum du … warum du ihn verlassen hast.«
Emilia ließ sie abrupt los und stand auf. »Manuel hat etwas Besseres verdient als mich.«
»Aber Manuel liebte dich so sehr! Und wer könnte besser sein, wer mutiger, stärker, schöner als du, Emilia!«
»Ruhig jetzt!«, rief Emilia. »Hör mir zu!« Sie beugte sich zu ihr, nahm Ritas Gesicht in ihre Hände und zwang sie, sie anzusehen. »Ich habe mir geschworen, dass ich mich nicht umdrehen werde. Ich … ich könnte keinen Schritt nach vorne machen, wenn ich ständig an die Vergangenheit denken würde. Ich habe mich entschieden fortzugehen, und du hast dich entschieden, mich zu begleiten. Die Gründe dafür zählen nicht mehr. Jetzt zählt nur mehr, dass wir überleben, dass wir uns irgendwie durchbringen – und das geht nicht, wenn wir vor Angst oder Kummer vergehen.«
Ritas dunkle Augen füllten sich mit Tränen. Emilia spürte, wie sie verzweifelt gegen diese anschluckte. »Ich weiß nicht, ob ich stark genug bin«, brachte sie hervor. »Ich würde so gerne vergessen, aber …«
»Wir müssen uns ablenken!«, rief Emilia nun eifrig. »Wir müssen arbeiten und wir müssen irgendwie von Tag zu Tag kommen. Es gibt so viele Herausforderungen. Lass nicht zu, dass ein Schuft wie dieser Esteban Macht über dich gewinnt! Was immer er dir antun wollte – es ist vorbei, es ist Vergangenheit. Genauso wie meine Liebe zu Manuel.«
Ritas Tränen versiegten, ihr Zittern ließ endlich nach. »Vielleicht wird irgendwann doch noch alles gut«, murmelte sie nach einer Weile, aber sie klang nicht recht davon überzeugt.
»Vielleicht«, murmelte Emilia, und auch aus ihrem Gesicht sprach der Zweifel.
Ja, sie war entschlossen, sich und Rita durchzubringen und an ihrem Kummer nicht zugrunde zu gehen; ganz gleich,
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