Jenseits von Feuerland: Roman
warnte und der ihn schon so oft aus brenzligen Situationen gerettet hatte, dass er es ihm sein Leben lang nicht ausreichend würde danken können.
»Kann sein, dass ich dich wirklich verlassen muss«, meinte er bedauernd und suchte nach seiner Kleidung, die auf dem ganzen Schlafzimmerboden verstreut war. Nachdem er sich angekleidet hatte, stand in Pauline-Marthas Gesicht kein Abschiedsschmerz, sondern Sorge.
Sie lauschte konzentriert, die Falten auf ihrer Stirn wurden tiefer. Genau genommen, hatte sie auch viele Falten um den Mund, was sie nicht nur alt, sondern streng aussehen ließ. »Ich habe etwas gehört.«
Nun lauschte auch Arthur. Tatsächlich – die Haustür wurde zugeworfen, dann ertönten Schritte, die langsam die Treppe hochkamen.
Verdammt! Hatte Balthasar draußen vor dem Haus geschlafen, weil er ihn erst jetzt warnte – viel zu spät nämlich?
Wenige Augenblicke, dann würde der werte Gatte im Schlafzimmer stehen!
»Versteck dich im Boudoir!«, rief Pauline-Martha panisch.
Das fehlte ihm noch, eine ganze Nacht inmitten von Damenunterwäsche verbringen zu müssen!
Rasch beugte er sich zu ihr und küsste sie. Es gefiel ihm, sich widerstreitende Gefühle auszulösen – einerseits Begierde und andererseits den Wunsch, ihn hastig zurückzustoßen.
Dann stürzte er zum Fenster und öffnete es.
»Arthur, du kannst doch nicht …«, setzte sie an, als sie erkannte, was er vorhatte.
»Wenn du wüsstest, wo ich schon heruntergeklettert bin, ohne mir den Hals zu brechen.«
Ihr ängstliches Gesicht wurde missmutig. »Ja«, meinte sie illusionslos, »wahrscheinlich, als du aus dem Ehebett der letzten Pauline geflohen bist.«
»Adieu!«
Er trat auf den Fenstersims, balancierte bis zur Dachrinne, umklammerte diese mit Händen und Füßen zugleich und rutschte langsam hinunter. Das hieß, er wollte es langsam tun – in Wahrheit beschleunigte sich sein Tempo jedoch ungewollt, und als er auf dem Boden ankam, war die Wucht des Aufpralls so stark, dass er über seine eigenen Beine stolperte und fast in den Straßengraben fiel.
Er hörte ein Kichern. Balthasar war freundlich genug, Wache zu stehen, aber er verspottete ihn oft, und Arthur ahnte, dass er es insgeheim sehr gerne sah, wenn er wieder einmal in den Dreck fiel. Erst kürzlich war er während einer übereilten Flucht in einen Nachttopf gestiegen, und Arthur glaubte sich zu erinnern, dass Balthasar drei Tage lang nicht mehr aufgehört hatte zu lachen.
Ein Schatten erschien am Fenster. »Wer da?«
»Hör zu lachen auf und lauf!«, schrie Arthur seinen Freund an. Dass genau das angeraten war, war diesem mittlerweile selbst aufgegangen. Er rannte los und Arthur hinterher, wütende Fragen und Flüche von Alphons im Rücken.
»Arme Pauline«, keuchte Arthur nach einer Weile, als das Gebrüll leiser wurde und er das Tempo drosseln konnte. Längst hatte er Balthasar überholt, denn der hatte ein verkrümmtes Bein und konnte nicht so schnell laufen. »Arme Pauline«, wiederholte Arthur. »Sie wird es schwer haben, ihren Göttergatten zu beschwichtigen.«
»Sie heißt nicht Pauline, sondern Martha«, stellte Balthasar richtig.
»Wie kommt es, dass du meine Frauen besser kennst als ich?«
»Nun«, grinste der Freund, »das ist, weil ich mein Gehirn im Kopf habe und zum Denken benutze, während du deines in der Hose trägst …« Er machte eine anzügliche Geste.
»Ich fürchte, ich habe Martha zum letzten Mal gesehen«, meinte Arthur, doch er klang nicht wirklich bedauernd. »Nun, da ihr Mann misstrauisch geworden ist, kann ich mich hier nicht mehr blicken lassen.«
»Du willst die Schöne aufgeben?«, ging Balthasar auf die Heuchelei ein, obwohl er in Wahrheit wusste, dass Arthur ungern mehr als eine Nacht bei ein und derselben Frau verbrachte.
»Ach, es gibt unendlich viele schöne Frauen in Hamburg!«, rief Arthur aus. »Das nächste Mal suche ich mir allerdings eine, die im Erdgeschoss lebt, damit ich nicht so lang auf der Dachrinne rutschen muss.«
Balthasar schüttelte grinsend den Kopf. »Und jetzt geht’s nach Hause?«, fragte er.
»Wo denkst du hin? Diese ganze Aufregung hat mich durstig gemacht.« Und schon blickte sich Arthur Hoffmann suchend nach der nächsten Kneipe um, wo er seinen Durst stillen konnte.
Längst ergraute morgendlich die Nacht, als Arthur sich auf den Weg nach Hause machte. Weder hätte er jetzt noch die Zahl der Kneipen nennen können, die er aufgesucht hatte, noch die Anzahl von Wein- und Schnapsgläsern,
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