Jenseits von Uedem
Unzahl von Haarklammern ein weißes Häubchen befestigt. Sie trug einen groben schwarzen Pullover, einen langen, engen Rock, Netzstrümpfe und Springerstiefel und über allem einen viel zu engen, gestärkten Schwesternkittel.
Nachdem sie Toppe vom Kopf bis zu den Füßen gemustert hatte, ließ sie sich zu einem gelangweilten »Ja, bitte?« herab.
»Toppe, Kripo Kleve. Ich möchte den Heimleiter sprechen.«
Die Langeweile blieb in ihrem Gesicht, aber sie drehte sich um und brüllte in Richtung Treppe: »Monika! Ist Frau Holbe da?«
Toppe lugte an ihr vorbei. Die Halle war dunkel getäfelt, die breite Treppe nach oben aus alter Eiche. Geradeaus führten Glastüren in den Garten, rechts ging es durch den Wintergarten in den Anbau.
Eine andere Schwester kam die Treppe hinuntergeeilt. »Um Himmels willen, Verena! Schrei doch nicht so!«
Sie war älter, Mitte vierzig, und »adrett« wäre das richtige Wort, dachte Toppe.
»Frau Holbe ist doch auf der Beerdigung von Pastor Heidkamp. Was gibt es denn?«
Toppe sagte seinen Spruch noch mal auf. Sie lächelte beflissen.
»Ich bin Frau Pitz«, begann sie, drehte sich dann aber zu ihrer Kollegin um: »Ich erledige das hier schon. Lauf hoch; ich war gerade Frau Marquardt am betten.«
Dann lächelte sie wieder. »Vielleicht kann ich Ihnen helfen?«
»Ich glaube nicht«, antwortete Toppe. »Frau Holbe - ist das die Heimleiterin?«
»Geschäftsführerin ist ihr lieber. Das mit dem Heim, das hört sie nicht so gerne.«
»Wann kommt sie denn zurück?«
»Warten Sie mal . die Beerdigung hat um zehn angefangen . dann noch die Nachfeier . aber ich würde sagen, sie müßte eigentlich spätestens in einer halben Stunde wieder hier sein.«
»Gut, dann warte ich so lange.«
»Gerne. Wollen Sie sich vielleicht in den Wintergarten setzen? Mich müssen Sie entschuldigen. Wir sind nur zu zweit, und wir haben im Moment vier Leute auf der Pflegestation.«
Im Wintergarten standen helle Korbmöbel; große Kübelpflanzen trennten einzelne Sitzgruppen. Auf den Tischen lagen Lesezirkelhefte und Tageszeitungen. Man hatte einen schönen Ausblick auf den Park, und auf der anderen Seite sah man den Wassergraben und einige Beete, die frisch umgegraben waren.
Die Glastür zum Anbau war offen, und die Geräusche vom Fernseher schallten laut herein. Zwei alte Frauen klebten dicht vor der Bildröhre.
»Sind Sie nicht noch ein bißchen zu jung für hier?«
Toppe zuckte zusammen. Er hatte die Frau, die in einem Sessel hinter der Bananenstaude saß, überhaupt nicht bemerkt. Sie war so klein, daß ihre Füße nicht einmal den Boden berührten. Das weiße Haar trug sie in einem dünnen Zopf auf dem Rücken. Alles an ihr war rosa, das Kleid, die Strümpfe, die Strickjacke, auch ihr Gesicht, das von freundlichen Runzeln zerknittert war. Hinter dicken Brillengläsern funkelten kiebige Augen.
Toppe grüßte höflich.
»Oder wollen Sie hier jemanden besuchen?« fragte sie neugierig und legte die Zeitung, in der sie gelesen hatte, auf den Tisch zurück.
»Nein«, antwortete Toppe. »Darf ich mich zu Ihnen setzen?«
»Ja, sicher. Aber machen Sie vorher die Türe da zu. Man kann ja sein eigenes Wort nicht verstehen.«
Toppe ging und schloß die Tür zum Fernsehraum.
»Die beiden hören so schlecht«, sagte sie und baumelte mit den Beinen.
»Sie aber nicht«, lächelte Toppe.
»Ich nicht!« Sie lachte. »Ich höre alles, was ich hören will. Nur meine Augen ... aber hiermit geht's noch ganz gut.«
Sie hob die rechteckige Lupe hoch, die sie an einem Band um den Hals trug. »Ganz schön stark. Wollen Sie mal durchgucken?«
Toppe beugte sich vor, nahm die Lupe und betrachtete seine Hand. Die Frau roch nach . nach etwas, das er seit -zig Jahren nicht mehr gerochen hatte: Mouson Uralt Lavendel.
»Und? Wer sind Sie denn nun jetzt?«
Toppe stellte sich vor und erzählte ihr was von Routinefragen.
»Aha, Toppe«, meinte sie nur. »Ich bin Beykirchs Auguste. Zweiundachtzig im letzten Dezember.«
»Alle Achtung«, lächelte Toppe. »Und? Geht's Ihnen gut hier?«
»Aber sicher. Meinem Bruder und mir! Wir haben oben zusammen eine kleine Wohnung. Sicher geht es uns gut. Wir können tun und lassen, was wir wollen, und brauchen uns um nichts zu kümmern. Da soll's einem nicht gut gehen?«
»Und was machen Sie so den ganzen Tag?«
»Alles, was ich will. Zeitunglesen, Spazierengehen, Canasta spielen, ein bißchen erzählen, Musik hören.« Sie runzelte die Stirn und schüttelte den Kopf. »Was machen Sie
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