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Jenseits

Jenseits

Titel: Jenseits Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meg Cabot
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Albtraum sein konnte. Wäre es einer gewesen, dann wäre ich spätestens jetzt aufgewacht und würde vor allem keinen Sand im Mund schmecken. Außerdem würde der Mann, dem ich auf der Beerdigung meines Großvaters begegnet war, dann nicht drohend über mir stehen und mit silberglänzenden Augen, in denen ich so gar nichts Menschliches, geschweige denn einen Hinweis auf ein Wiedererkennen entdecken konnte, auf mich herunterstarren.
    Und mir fiel auf, dass sich neben der fürchterlichen Stimme auch noch etwas anderes an ihm verändert hatte. Nein … nicht er hatte sich verändert, sondern ich. Ich war kein siebenjähriges Mädchen mehr.
    Er hingegen war immer noch derselbe wie auf dem Friedhof: dunkles Haar, blitzende Augen, einschüchternde Körpergröße; auch wenn er nicht mehr ganz so riesig wirkte wie damals.
    Doch wie war das möglich, wenn seit unserer letzten Begegnung so viele Jahre vergangen waren?
    »Bist du verletzt?«, fragte er mit einer Stimme, die irgendwie noch lauter und beängstigender war als der Donner, der nur wenige Augenblicke zuvor die Wände der Höhle zum Wackeln gebracht hatte.
    »Ich … ich glaube nicht«, antwortete ich und musste all meine Willenskraft aufbringen, um nicht sofort aufzuspringen und davonzurennen. Ich hatte einen Kloß im Hals, der sich ungefähr so groß anfühlte wie mein Kopf, und streckte zitternd einen Arm aus, damit er mir auf die Beine helfen konnte. Seine Hand war angenehm warm und trocken, ganz im Gegensatz zu meiner. »Und … und du?«
    Er warf mir einen ungläubigen Blick zu, und ich spürte, wie seine leuchtenden Augen mich regelrecht aufspießten.
    »Ob ich verletzt bin?«, erwiderte er. »Die Hufe hätten dir alle Knochen brechen können, und du fragst mich , ob ich verletzt bin?«
    »Du bist nicht unter dein Pferd gekommen?«, fragte ich weiter und schaute nervös zu seinem Hengst hinüber, der nur ein paar Meter entfernt mit den Hufen scharrte, während einer der anderen Wächter versuchte, ihn im Zaum zu halten. Dieses Vieh konnte höchstens zur Hälfte ein Pferd sein, zur anderen Hälfte war es bestimmt ein Dämon oder noch was Schlimmeres.
    Sein Reiter schien jedoch nicht daran interessiert, über irgendwelche Verletzungen zu sprechen, die er sich möglicherweise bei dem Unfall zugezogen haben könnte.
    »Mir ist nichts passiert«, bellte er nur. »Aber du musst lernen, dich an die Regeln zu halten. Oder was glaubst du, bedeuten die Worte: ›Bleib in deiner Schlange‹?« Er ließ meine Hand los und packte mich am Oberarm.
    Das Nächste, was ich wusste, war, dass er mich zurück an meinen Platz schleifte. Aber nicht zu der Schlange, aus der ich ausgebrochen war. Zu der anderen.
    Ich versuchte, etwas zu sagen, strengte mich wirklich an, aber der Schock zeigte wohl allmählich Wirkung, denn ich konnte einfach nur leer vor mich hin starren.
    Seine Augen hatten exakt dieselbe Farbe wie die Wurfsterne, die ein Kunde, ein Vertreter des japanischen Militärs, meinem Vater geschenkt hatte. Schon damals, als er die Schachtel zu Hause geöffnet hatte, hatte der Anblick des glänzenden Metalls eine verschwommene Erinnerung in mir geweckt. Und erst jetzt begriff ich, welche Erinnerung das gewesen war: Er.
    »Rühr die ja nicht an«, hatte Dad mich gewarnt. Als ob ich auch nur im Entferntesten daran gedacht hätte, das zu tun. Ich meine vor seinem Verbot. Danach konnte ich mich nämlich des seltsamen Drangs nicht erwehren, einen davon aus Dads Spezialschublade zu ziehen und ihn auf den Stamm eines alten Baumes in unserem Garten zu werfen. Dad musste ihn mit einer Zange wieder herausziehen, so tief hatte er sich hineingebohrt. Danach hielt er die Dinger in seinem Bürosafe unter Verschluss. Außer, er versuchte selbst, sie auf den Baum zu werfen, um zu sehen, ob er sie genauso tief versenken konnte wie ich. Was ihm aber, sehr zu seiner Verwunderung, nicht gelang.
    Und jetzt hatte ich zum ersten Mal das Gefühl, zu wissen, woher dieser unwiderstehliche Drang gekommen war, die Wurfsterne trotz Dads Verbots zu berühren.
    »Du brauchst mich gar nicht so anzusehen«, sagte mein Häscher. »Das funktioniert bei mir nicht. Ich mache den Job hier schon sehr lange, ich kenne alle Tricks. Und wenn du mich noch so lange anstarrst mit deinen großen braunen Augen, es wird dir nichts helfen, das garantiere ich dir.«
    Ich blinzelte. Hatte er gerade mit mir gesprochen? Anscheinend. Schließlich war ich die einzige Person, die er gerade quer über den Strand schleifte. Tricks?

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