Jenseits
Regelverstöße, sondern für alles, von dem sie meinen …« Er verstummte, schaute mich kurz an und blickte schließlich kopfschüttelnd zu Boden. »Glaub es mir einfach. Deshalb habe ich dir die Halskette gegeben. Sie wird dich warnen, sobald eine der Furien auch nur in der Nähe ist, und du wirst wissen, wenn du dich gerade – und sei es nur unabsichtlich – bei ihnen unbeliebt machst.«
Als er mich erneut ansah, leuchteten seine Augen regelrecht, heller noch als Dads Wurfsterne. Aber seine Stimme war ganz sanft: »Pierce, ich verspreche dir, schon bald wirst du merken, dass es hier gar nicht so übel ist. Du wirst alles haben, was du dir nur wünschen kannst. Alle Bequemlichkeiten eines Zuhauses …«
Etwas Schlimmeres hätte er gar nicht sagen können. Alle Bequemlichkeiten eines Zuhauses, außer allem – einfach allem –, das ich liebte. Ich fühlte mich nicht mehr wie steifgefroren. Nein, ich zerfloss. Die Tränen liefen, so heftig, dass alles, einschließlich John, aus meinem Blickfeld verschwand.
»Tut mir leid«, schluchzte ich und begrub mein Gesicht in den Händen.
Das alles war so schrecklich. Ich war nicht nur tot, sondern würde auch noch dieser lebenslangen Folter ausgesetzt sein?
»Ich kann hier nicht bleiben. Ich kann es einfach nicht«, wimmerte ich.
»Nicht«, sagte John, und der Donner hörte sich jetzt an, als käme er direkt von über unseren Köpfen. »Bitte, weine nicht.«
Als er das sagte, streckte er eine Hand aus und legte sie mir auf die Schulter, wahrscheinlich um mich zu trösten. Aber ich sprang zurück, als hätte er mich geschlagen, und bewegte mich mit wackeligen Schritten rückwärts auf die Feuerstelle zu, vor der ich schließlich zusammenbrach.
Für immer? Ich würde für immer mit ihm hier festsitzen? Und weshalb? Wegen irgendwelcher willkürlich festgelegten Regeln! Wegen dieser sogenannten Furien! Das musste einfach ein Witz sein.
Ich dachte daran, was mein Dad jetzt sagen würde, wenn er hier wäre. »Wissen Sie nicht, wen Sie vor sich haben?«, würde er John anbellen.
Mein Körper war vollkommen taub, und trotzdem spürte ich die Hitze der Flammen in meinem Rücken. Wie in aller Welt war es möglich, dass ich tot war und gleichzeitig immer noch etwas fühlte? Wie?
Eine Sekunde später stand John wieder direkt vor mir. »Hier, trink das. Es wird dir guttun«, sagte er und reichte mir eine Tasse.
Aber ich konnte nichts trinken.
Er setzte sich zu mir, und nach einer Weile fiel mir auf, dass er wieder etwas sagte:
»Ich weiß, wie furchtbar das jetzt alles für dich ist, aber mit der Zeit wird es leichter. Ich verspreche es. Und bald – nicht gleich, aber nach einer gewissen Zeit –, macht es dir nicht mal mehr was aus. Oder zumindest nicht mehr so viel. Ich weiß, es ist nicht ganz dasselbe, als wenn es einem tatsächlich nichts ausmachen würde, aber zumindest wirst du nicht allein sein. Und das ist das Wichtigste. Denn das war das Schlimmste; so lange allein zu sein.«
Was zum Teufel redete er da? Ich hob meinen verschwommenen Blick und ließ ihn durch den Raum wandern, bis er schließlich auf dem Bett zu ruhen kam. Erst jetzt fiel mir auf, wie groß es war. Ein Doppelbett, ohne jeden Zweifel.
Oh, mein Gott.
Und halt dich im Winter vom Pool fern, Pierce. Selbst mit der Abdeckung ist es dort nicht sicher.
Das war also der Preis, den ich bezahlen musste, weil ich nicht auf meine Mutter gehört hatte. Nie im Leben hatte ich damit gerechnet, dass er so hoch ausfallen würde.
Es war bestimmt kein Zufall, dass mir genau in diesem Moment ein freier Durchgang am anderen Ende des Raums auffiel, gleich hinter dem Bett. Durch einen der Torbögen konnte ich einen langen Flur erkennen, der von eleganten Wandleuchten erhellt wurde. Zwei Wendeltreppen zweigten von diesem Flur ab. Eine davon führte nach oben, die andere nach unten. Ich hatte sie bisher nur nicht bemerkt, weil ich da die Kette noch nicht getragen hatte, dessen war ich mir absolut sicher. John hatte selbst gesagt, sie würde den Besitzer vor allem Bösen beschützen. Offensichtlich funktionierte es bereits.
Die einzige Frage, die mich jetzt noch beschäftigte, war: Welche der beiden Treppen würde mich so weit wie möglich von hier wegbringen? Nun, das konnte ich mir überlegen, wenn es soweit war.
»Also«, sagte ich, als mir klar wurde, dass ich John irgendwie würde ablenken müssen, wenn ich überhaupt eine Chance haben wollte, hier rauszukommen. »Wahrscheinlich hast du recht. Entschuldige
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