Jenseits
ihnen schon sagen, dass hier wohl ein Fehler vorliegt, weil ich die Kette noch nie bei dir gesehen habe. Gehört sie dir? Oder hast du sie von Hannah geliehen?«
»Ähm, nein. Sie … sie war ein Geschenk«, erwiderte ich.
Wie war das möglich? Wie hatte ich die Kette mit in diese Welt nehmen können? Sämtliche Ärzte, denen ich erzählt hatte, was ich gesehen hatte, während ich tot war – die Neurologen, der Unfallchirurg, selbst die Ärzte, die am Wochenende immer wieder mal vorbeigeschaut hatten, um nach mir zu sehen –, hatten mir versichert, dass alles nur ein furchtbarer, schrecklicher Traum gewesen sei …
Aber das bedeutete, dass es eben kein Traum gewesen war. Es bedeutete …
»Ein Geschenk?«, fragte Mom, ein wenig abgelenkt wegen all der Formulare. Normalerweise kümmerte sich Dad immer um so was, aber Mom hatte ihm verboten, das Krankenhaus auch nur zu betreten. Allein, ihn zu sehen, brachte sie völlig aus der Fassung. So sehr, dass sie ihn bereits – was ich zu dem Zeitpunkt noch gar nicht wusste – aus unserem Haus geworfen hatte.
»Geschenk von wem?«, fragte Mom weiter und blätterte geistesabwesend in den Papieren.
Ich bin nicht sicher, ob es die Kette in meiner Hand war, die mir die Antwort eingab, oder ob ich selbst geistesgegenwärtig genug gewesen war, ihr nicht die Wahrheit zu erzählen. »Ach, nur von einem Freund«, antwortete ich und starrte hinunter in die endlosen blaugrauen Tiefen des Diamanten. Ich war viel zu beunruhigt, um mehr zu sagen.
Denn es bedeutete, dass es echt war. Alles. Er .
Gott sei’s gedankt, dass ich Mom nicht die Wahrheit erzählt habe und sie so sehr mit der Scheidung beschäftigt gewesen war, dass sie die Halskette nie wieder erwähnte. Und Gott sei’s gedankt, dass ich den Diamanten von da an immer unter meinem Hemd verborgen trug und viel zu verwirrt war von dem, was seine Existenz für meinen sogenannten Klartraum bedeutete, sodass ich niemandem davon erzählte.
Außer Hannah, an meinem ersten Schultag nach dem Unfall. Doch selbst das bisschen, das ich ihr erzählte, entpuppte sich schnell als Fehler. Als so großer Fehler, dass ich von da an die Klappe hielt.
Aber der Fehler war nicht so schwerwiegend wie der, den ich eine Woche später machte. Mom konnte mich wegen eines Termins mit Dads Anwälten nicht pünktlich von meiner Therapiesitzung abholen, und so fand ich mich plötzlich in einem Juweliergeschäft gleich neben der Praxis wieder, um mir dort die Wartezeit zu vertreiben. Geistesabwesend schaute ich auf die grauen Quarzsteine in der Auslage, zog unbewusst meinen Diamanten heraus und begann, ihn zwischen meinen Fingern hin und her zu drehen. Da erblickte ihn der Mann hinterm Schalter und sagte sofort, wie ausgesucht schön mein Stein doch sei.
Ich wurde knallrot und versuchte, ihn schnell wieder unter mein Hemd zu stecken, aber da war es bereits zu spät – der Verkäufer fragte mich, ob er ihn genauer in Augenschein nehmen dürfe, denn so ein ungewöhnliches Juwel hätte er noch nie gesehen.
Was blieb mir schon anderes übrig? Ich ließ ihn also einen Blick auf den Diamanten werfen, behielt die Kette aber wie immer um meinen Hals. Ich hatte sie nicht mehr abgelegt, seitdem Mom sie mir im Krankenhaus zurückgegeben hatte. Ich weiß selbst nicht, warum, aber der Stein faszinierte mich irgendwie. Er schien nie dieselbe Farbe zu behalten und sich ständig zu verändern. Selbst während der Verkäufer ihn in seinen Fingern hielt, verdunkelte er sich von einem durchschimmernden Silbergrau zum tiefen Violett einer Regenwolke.
Dann sagte der Mann hinterm Schalter plötzlich, er müsse den Stein ganz einfach seinem Chef zeigen, der gerade hinten beim Mittagessen sei. Er würde durch und durch begeistert sein.
Ich weiß nicht, was ich glaubte, dass passieren würde, oder warum ich so einen unglaublich starken Impuls verspürte, sofort wegzurennen. Ich hätte auf meinen Instinkt hören sollen. Auf das, was der Stein mir zu sagen versuchte. Aber ich tat es nicht.
Der Verkäufer verschwand kurz, dann kam sein Chef heraus und wischte sich noch schnell den Mund mit einer Serviette ab.
Genau im selben Moment sah ich, wie Mom draußen auf der Straße mit ihrem Wagen vorfuhr. »Ah«, sagte ich erleichtert, »ich werde abgeholt. Tut mir leid, aber ich muss jetzt gehen …«
Da hatte der ältere Juwelier bereits das Ende meiner Halskette ergriffen, und ich saß in der Falle. Ich war wie angeleint an meinem Goldkettchen, das sich zwischen meinem Hals
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