Jericho
um uns zu holen…
***
Einige Male war Abe Douglas vor die Tür des Wohnwagens gegangen. Nicht weil er gern in die Hitze hineintreten wollte, er mußte einfach einem Drang folgen, denn der Wohnwagen selbst war ihm längst zu eng vorgekommen. Es ärgerte ihn noch immer, daß er verloren hatte, aber mit diesem Pech mußte es zunächst leben. Die Sonne war nicht nur gewandert, sie hatte sich auch gesenkt und nahm allmählich eine rötlichgelbe Farbe an. Die Abendstimmung. Von den beiden Geisterjägern sah er nichts mehr. Sie hatten die Stadt längst erreicht, und Abe Douglas konnte nichts weiter tun, als ihnen die Daumen zu drücken.
Ihm gefiel einiges an diesem Fall nicht. Am meisten jedoch störte ihn die Luft. Er wußte nicht, ob es normal war, aber sie kam ihm vor wie zum Schneiden dick und ließ sich noch schwerer einatmen. Mit matten Knien ging er zurück und öffnete die Tür. Die junge Frau schaute ihn an.
»Kannst du mal kommen, Judith?«
»Warum? Ist was passiert?«
»Noch nicht.«
Sie hob die Schultern und stand auf. Das Mädchen war blaß geworden. Unter seinen Augen lagen die dunklen Ringe wie eingefärbte Halbmonde. Ihr Gang war schleppend, als hätte sie eine sehr schwere Fast zu tragen.
Der G-man hielt die Tür auf. Judith trat in die Hitze und bewegte die vorgestreckten Arme, als könnte sie die furchtbare Luft hier draußen vertreiben.
»Spürst du sie auch?«
Judith Hill rieb ihre Hände. »Was denn?«
»Man kann kaum atmen.«
Das Mädchen nickte sehr bedächtig. »Ja, das merke ich auch. Es ist furchtbar.«
»Aber auch normal?«
Sie begriff nicht sofort, strich eine verschwitzte Strähne zurück und schaute den Mann erstaunt an.
»Ich meine, ist die Luft normal? Ich lebe in New York, dort ist es auch schwül, aber anders. Du kommst aus Jericho, mitten aus der Wüste, du mußt das tagtäglich mitbekommen haben.«
»Es ist immer heiß hier«, erklärte sie. »Aber ich will ehrlich sein. So wie jetzt war es noch nie.«
»So drückend — oder?«
»Ja, Abe und anders.«
»Wie anders?«
Judith hob die Schultern und biß auf ihre Unterlippe, während sie sich drehte, um dorthin schauen zu können, wo die Stadt Jericho in der Mulde lag. »Ich weiß nicht, ob ich recht habe, aber ich werde den Eindruck nicht los, als würde von Jericho aus etwas zu uns herüberwehen, Ahe. Aus der Mulde hoch zu uns.«
»Tatsächlich? Was denn?«
Sie hob die Schultern. »Weißt du, es gibt Dinge, die kann man einfach nicht in Worte fassen. Sie sind so anders, so schrecklich, so unberechenbar. Schau bitte genau hin. Ich glaube, du wirst auch den bläulichen Schimmer erkennen können, der über der Wüstenstadt liegt.«
So etwas ließ sich Abe nicht zweimal sagen. Er strengte sich an, er ›beschattete‹ seine Augen. Nach einer Weile nickte er. »Ja, da scheint sich ein Schleier ausgebreitet zu haben. Hast du dafür eine Erklärung, Judith?«
»Es ist der Schleier der bösen Träume.«
»Der…«, Er holte schnappend Luft. »Der was — bitte?«
Sie wiederholte den Begriff. »Das Neue Reich soll aus Träumen hergestellt werden. Eine Zusammenballung von Alpträumen zahlreicher Menschen. Der Menschen aus Jericho.«
»Wer träumt, der schläft auch«, resümierte der G-man und erntete ein leicht spöttisches Lächeln, das ihn nicht weiter beeinflußte, denn er sprach weiter. »Es würde heißen, daß die Menschen von Jericho jetzt in den Betten liegen und schlafen, wobei sie träumen.«
»Ja, das stimmt.«
»Und warum?«
»Weil er es so will!«
»Verdammt, die Antwort reicht mir nicht, Kind!«
Judith umfuhr mit der Zungenspitze ihre rissigen und spröde gewordenen Lippen. »Was soll ich denn jetzt noch sagen, Abe?«
Er trat an sie heran, legte seine Hände auf ihre Schultern und schüttelte sie leicht.
»Die Wahrheit, Kind. Die ganze, verfluchte Wahrheit. Ich will es wissen.«
»Es ist so schwer«, flüsterte sie.
»Warum?«
»Weil ich nicht zu den Eingeweihten gehöre, aus diesem Grund. Ich habe die hohen Weihen nicht empfangen, sie blieben allein den Todesengeln vorbehalten.«
»Aber du weißt trotzdem etwas.«
»Schon…«
»Dann rede endlich!«
»Träume, Abe. Es geht einfach um die Träume. Jericho kann es schaffen, uns die Träume der Bewohner zu schicken. Er besitzt die Macht, Alpträume in die Realität umzusetzen, verstehst du das?«
Der G-man tat zwei, drei Schritte zurück, bis er gegen den Wohnwagen stieß. »Nein, das verstehe ich nicht. Tut mir leid…«
»Es ist doch
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