Jerry Cotton - 0506 - Der Toeter und die grosse Angst
sich einen Tabakkrümel von der Lippe »Das will ich hoffen!«
»Wie ich hörte, interessierte er sich für seine Nachbarin«, sagte ich obenhin.
»Ach die! Sie machte ihm schöne Augen, das war alles«, meinte Doreen Newton ärgerlich.
»Wie reagierte Mr. Fletcher darauf?«
»Natürlich gefiel es ihm, daß sie ihn zu fesseln versuchte«, sagte Doreen. »Können Sie mir einen Mann nennen, der sich in einem solchen Fall nicht geschmeichelt fühlt?«
»Ich hoffe, Sie mißverstehen mich nicht, Miß Newton. Mr. Fletcher war sicherlich kein sehr bedeutender oder attraktiver Mann. Was sollte Miß Bell veranlaßt haben, ihm schöne Augen zu machen?«
»Es gibt Frauen, die hinter jedem Mann her sind«, behauptete das Mädchen. »Wahrscheinlich wollte sie ihn mir abspenstig machen oder war hinter seinem Geld her…« Doreen machte eine kurze Pause. Für den Bruchteil einer Sekunde zeigte sich in ihrem Gesicht ein Ausdruck der Verwirrung. Dann hatte sie sich wieder gefangen. »Oder hinter dem, was sie an Geld bei ihm vermutete«, fuhr sie in dem Bestreben fort, den Fehler auszubügeln. »Wenn sie gewußt hätte, daß nichts da ist, wäre sie wohl weniger versessen auf Randolphs Gunstbezeigungen gewesen.«
»Wie ich mir sagen ließ, wollte Mr. Fletcher sich selbständig machen.«
»Davon hat er oft gesprochen«, gab das Mädchen zu.
»Was hatte er vor?«
»Er wollte eine Druckerei pachten.«
»Pachten?«
»Ganz recht. Er hatte ja kein Geld, um sich einen solchen Betrieb zu kaufen.«
»Was verdiente er als Drucker?«
»Genau weiß ich es nicht, aber ich glaube, es waren so um die hundert Dollar in der Woche, vielleicht auch ein bißchen mehr.«
»Was verstehen Sie in diesem Falle unter einem .bißchen mehr'?« fragte ich.
»Na, so dreißig oder fünfzig Dollar in der Woche«, erwiderte Doreen.
»Das entspräche rund sechshundert im Monat«, nickte ich. »Es ist das Durchschnittseinkommen eines Druckers. Fletcher lebte auf kleinem Fuße. Seine Wohnung ist bescheiden eingerichtet. Die Mansardenwohnung kann ihn höchstens dreißig oder vierzig Dollar im Monat gekostet haben. Was hat er mit dem verbleibenden Geld angesteljt?«
»Er trank sehr gern«, sagte das Mädchen hastig. »Es mußte immer der beste und teuerste Whisky sein.«
»Soviel ich weiß, wurde in der Wohnung nur eine Flasche billiger Gin gefunden.«
»Das geht auf mein Konto«, erklärte das Mädchen. »Ich habe stets dafür gesorgt, daß leere Flaschen schleunigst verschwanden.«
»Ich bin durstig«, sagte ich lächelnd. »Vielleicht hätten wir nicht von den Getränken und den Flaschen sprechen sollen. Würde es Ihnen etwas ausmachen, mir ein Glas Wasser zu holen?«
»Wasser?« fragte das Mädchen und stand auf. »Sie können einen Whisky haben oder einen Gin mit Soda…«
»Danke, Wasser genügt mir«, sagte ich.
Das Mädchen verließ das Zimmer. Ich griff hinter die Sofakissen. Meine Hände tasteten über den glatten Polsterstoff; das Gesuchte fanden sie nicht. Ich setzte mich wieder. Doreen Newton kam mit einem Glas eisgekühltem Wasser zurück. Ich bedankte mich und trank daraus.
Mein Blick glitt zufällig über die bloßen Arme des Mädchens. Doreen hatte runde pralle Arme mit auffällig zarter weißer Haut. Auf dieser Haut gewahrte ich am Oberarm, etwa zwei Inches unterhalb des kurzen Ärmels, die Eindrücke von vier Fingernägeln. Das Mädchen erkannte in diesem Moment an meiner Blickrichtung die Gefahr, die ihr drohte. Sie verschränkte die Arme vor der Brust und legte dabei eine Hand auf die Stelle, die mich so brennend interessierte. Auf Doreens Wangen bildeten sich zwei rote kreisrunde Flecken.
»Ich bin sehr erschöpft«, sagte sie mit matter Stimme. »Randolphs schreckliches Ende ist mir verständlicherweise an die Nerven gegangen. Darf ich Sie bitten, mich jetzt allein zu lassen? Ich möchte mich ein wenig hinlegen und ausspannen…« Ich erhob mich. »Ich wollte sowieso gehen. Morgen haben sich vielleicht schon neue Gesichtspunkte ergeben.« Das Mädchen stand gleichfalls auf. Sie brachte mich in die quadratische Wohnungsdiele. »Ich bin jederzeit für Sie da«, versicherte mir das Girl. »Genau wie Sie bin ich daran interessiert, daß der Täter seine verdiente Strafe bekommt.«
Ich machte plötzlich kehrt und ging zurück ins Wohnzimmer. Ich holte das Wasserglas vom Tisch und sagte: »Wo ist die Küche? Ich stelle das Glas noch weg!«
Hastig nahm mir Doreen das Glas aus der Hand. »Das erledige ich«, meinte sie. »In der
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