Jerry Cotton - 0533 - Die teuflische Blondine
Gehsteig hinab. Aus den Augenwinkeln musterte sie das Haus, zu dem die jetzt geschlossene Garage gehörte. Es unterschied sich in nichts von den anderen Häusern dieser stillen Straße.
Der Sedan war drei oder vier Jahre alt, aber er sah aus wie neu. Viel gebraucht konnte er nicht sein. Sarah blieb auf der Höhe der Fahrertür stehen und bückte sich ein wenig. Sie streifte den linken Schuh ab und tat, als sei ihr ein Steinchen hineingeraten. Dabei starrte sie angestrengt durch das Fenster des Wagens. Sie konnte die Umrisse der Zulassungskarte sehen, die wie vorgesghrieben an der Lenksäule klebte. Aber das Fenster spiegelte, und es war ihr nicht möglich, auch nur ein Wort der Zulassungskarte zu entziffern.
So hat es keinen Zweck, entschied sie. Ich werde zurückgehen und sehen, ob ich den Namen an der Haustür lesen kann. Zum Glück liegt das Gebäude höchstens zwei Yard vom Gehsteig entfernt.
Neben der Klingel glänzte ein Messingschild mit eingravierten Buchstaben, die leicht zu erkennen waren: Dieland lautete der Name.
»Wenn Sie schon hier sind, gehen Sie ruhig ganz bis zur Tür«, sagte plötzlich eine leise weibliche Stimme hinter ihr.
Sarah fuhr herum. Hinter ihr stand eine attraktive blonde Frau. Sie trug eine schwere schwarze Handtasche am linken Arm, die sie aufgeklappt hatte. Ihre rechte Hand ruhte halb in der geöffneten Tasche. Etwas glänzte wie Perlmutt zwischen den gepflegten Fingern. Sarah sah genauer hin und erkannte eine winzige Damenpistole.
»Das ist ein sehr überzeugendes Argument«, sagte Sarah ruhig und wandte sich der Haustür zu. »Soll ich klingeln?« fragte sie.
»Ja. Dreimal kurz.«
Sarah tat es. Wenig später flog die Tür auf. Mister Affenmann erschien auf der Schwelle und starrte sie an.
»Guck nicht so blöd!« sagte die Blonde zu ihm. »Das Luder hat hier herumspioniert. Warum steht der Sedan auf der Straße? Sie versuchte anscheinend den Namen auf der Zulassungskarte zu entziffern, und als ihr das nicht gelang, probierte sie’s mit dem Schild an der Haustür. Verdammt viel Interesse für unseren Namen, finde ich. Los, Herzchen, gehen Sie schon hinein!«
»Aber gern«, sagte Sarah. Und dann bemerkte sie das erwartungsvolle Grinsen in dem Gesicht des Mannes.
Zehn Minuten lang hatten sie auf dem Stadtplan die richtige Stelle gesucht. Dann hatte es eine Viertelstunde gedauert, bis der Angestellte des Katasteramtes die richtigen Akten gefunden hatte. Endlich war es soweit.
»Eigentümerin ist Helen Dieland«, verkündete er.
»Eine Frau?« fragte Lieutenant Easton. »Hm. Und wo wohnt die Dame?«
»In Jersey City. Kentham Road. Hausnummer 42.«
Easton sah über die Schulter und nickte zufrieden. Sein Sergeant war bereits dabei, Name und Adresse zu notieren. Der Lieutenant bedankte sich für die Auskunft.
Als sie wieder in ihrem Dienstwagen saßen, brummte Ed Schulz: »Das nützt uns nichts, Chef. In Jersey City ist unser Dienstausweis soviel wert wie der Wetterbericht vom vorigen Unabhängigkeitstag. Da drüben sind wir keine Polizisten.«
»Richtig«, gab Easton zu. »Und trotzdem fahren wir hinüber.«
»Wollen Sie sich Läuse in den Pelz setzen, Lieutenant?«
»Ich werde mich hüten. Wir sind die Stadtpolizei von New York, und wir haben in Jersey City keinerlei Befugnisse. Aber ich habe etwas anderes in Jersey City.«
»Eine einflußreiche Tante?« fragte Sergeant Schulz ironisch.
»Etwas viel Besseres«, erwiderte Easton. »Einen alten Freund, der Lieutenant ‘bei der Kriminalabteilung ist.«
»Immer diese Cliquenwirtschaft«, griente Ed Schulz und ließ den Motor an. »Also Jersey City, wie?«
»42, Kentham Road«, ergänzte der Lieutenant. »Aber vorher will ich mich mit meinem Freund verständigen. Wir haben uns auf der FBI-Akademie in Quantico kennengelernt.« Easton angelte sich den Hörer des Sprechfunkgerätes, während Schulz schon den Wagen in Richtung Holland-Tunnel steuerte. »Gebt mir eine Verbindung mit der Kriminalabteilung der Stadtpolizei von Jersey City!« verlangte Easton und präzisierte seinen Wunsch wenig später: »Ich möchte Detective Lieutenant Matt Holden sprechen.«
Ed Schulz grinste vor sich hin. Er arbeitete nun schon einige Jahre unter Lieutenant Easton, und er war sehr zufrieden damit. Zwar stand Easton in dem Ruf, nicht immer nach der alten Polizeiroutine vorzugehen, aber dafür besaß der Lieutenant auch einen Spitznamen, wie er ehrenvoller kaum erfunden werden konnte. In Polizeikreisen nannte man ihn »Cleary«, womit man
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