Jerry Cotton - 0540 - Terror im Highway-Hotel
Rechts erstreckte sich die weitläufige Rasenfläche zwischen Highway, Tankstellenzufahrt und dem weiten Bogen der Auffahrt, die unmittelbar hinauf zum nördlichen Vorplatz des Hotels führte. Jenseits der Auffahrt begannen die endlosen Weizenfelder. Das Getreide stand sommerlich hoch im Halm, goldgelb und der Ernte nahe. Bis dahin schien .es Sikorski der längste Weg seines Lebens zu sein. Er setzte Fuß für Fuß. Überdeutlich hörte er das Ticken aus dem schweren Karton. In hundert Sekunden kann ich hundert Schritte gemacht haben, sagte er sich. Und hundert Sekunden sind nicht einmal zwei Minuten. Mehr als dreihundert Schritte brauche ich bestimmt nicht. Dann müßte ich zwanzig oder dreißig Yard tief im Weizenfeld sein. Dreihundert Schritte, dreihundert Sekunden — jämmerliche fünf Minuten. Noch während ich dies alles gedacht habe, sind es schon fünfzehn Schritte weniger. Aber ich konnte doch das verdammte Ding nicht in der Halle liegenlassen. Im Betonsockel eines Hotels mit unzähligen Gästen.
Anton Sikorski erreichte die Auffahrt zum Hotel. Er überquerte sie gemessenen Schrittes. Laufen hätte die Gefahr eines Sturzes heraufbeschworen, und eines hatten sie ihm seinerzeit eingehämmert: Wer Sprengstoff trägt oder schon mit einem Zünder abgelegt hat, muß Zeit haben, wegzugehen. Zu gehen! Wer läuft, könnte zu nahe am Explosionsherd stürzen und keine Zeit mehr haben, sich wieder aufzurappeln. Sikorski tat Schritt für Schritt. Ein Wagen kam die Auffahrt herauf, als Sikorski mitten auf dem Asphalt war. Der Fahrer hupte. Sikorski sah nicht nach rechts und nicht nach links. Noch fünfzig Schritte, sagte er sich, als die Lichtkegel der Scheinwerfer ihn packten. Bremsen kreischten. Sikorski blickte sich nicht um. Eine Männerstimme schrie wütend. Sikorski vernahm die Laute, aber sein Verstand registrierte ihre Bedeutung nicht. Noch dreißig Schritte, dachte er, fünfzig Schritte, weg. Dann meinetwegen nach mir die Sintflut. Noch fünfundzwanzig Schritte.
Die Ähren strichen kitzelnd über die Rücken seiner klammen Hände. Mit den Füßen tastete er den Boden ab, um nicht im letzten Augenblick in das Loch eines Kaninchenbaues zu geraten und zu stürzen. Seine Augen blinzelten in die endlose Weite der Nacht vor ihm. Das Getreide wogte und rauschte sacht und duftete reif und satt. Fast war es, als ob er zu Hause sei, wo der Weizen nicht anders roch. Die letzten zehn Schritte, dachte er. Neun, acht, sieben…
Sikorski bückte sich und ließ die höllische Last unendlich vorsichtig sinken. Scharf und hart klickte das Ticken. Der Tankwart richtete sich auf, drehte sich bedächtig um und schritt zurück aus der Finsternis auf die Helle zu, die vom Hotel ausging mit seinen zahllosen erleuchteten Fenstern.
Aber plötzlich wurde diese Helligkeit von einem grellen Blitz überstrahlt. Sikorski fühlte, wie etwas Urgewaltiges nach ihm griff, ihn hochriß wie eine Feder, und dann war nur noch Getöse, Krach und Feuer um ihn.
***
Entfernungen sind relativ. Zehn Schritte können mehr sein als die astronomischen Weiten im Weltenraum, und man kann zwei Ewigkeiten zu ihrer Bewältigung brauchen. Ich brauchte sie.
Als ich zu mir kam, lag ich neben dem Bett. Ich wollte ins Badezimmer, aber es war der Weg durch die sieben Höllen. Aus wie vielen Muskeln und Knochen so ein menschlicher Körper besteht, merkt man am besten, wenn sie einem allesamt weh tun. Dazu kamen das dumpfe Brausen in meinem Kopf und die ekelhafte Übelkeit, die mich jedesmal überfiel, wenn ich versuchte, den Kopf zu heben. Schließlich ließ ich es sein und kroch auf allen vieren durch das Zimmer, kurzatmig, von Schwindelanfällen immer wieder zu Pausen genötigt und randvoll von einer Wut, die ein Ventil brauchte.
Im Badezimmer angekommen, blieb ich eine Weile auf den kühlen Fliesen liegen und preßte die Stirn gegen den glatten Boden. Ich empfand die Kühle als wohltuend. Nach einiger Zeit ging mein Atem ruhiger. Ich sammelte meine letzten Energien. Es gelang mir aufzustehen. Dann mußte ich mich am Waschbecken festhalten, um nicht wieder auf dem Boden zu landen. Mir kam es wie ein paar Stunden vor, bas es mir endlich gelungen war, mich meiner Kleidung zu entledigen. Ich drehte die Brause auf — eiskalt — und setzte mich drunter. Es war, als ob Hagelkörner auf mich herabprasselten.
Aber die Dusche tat ihre Wirkung. Ich tappte erneut zum Waschbecken und sah in den Spiegel. In der Brustgrube, an den kurzen Rippen und vor dem Magen gab es
Weitere Kostenlose Bücher