Jerry Cotton - 0545 - Im Park der toten Liebespaare
gestemmte Knie hielt ihn unerbittlich fest. Dabei hatte sich Blondys blaues Kleid hochgeschoben und entblößte ein Paar muskulöser behaarter Beine. Völlig ungeniert vom Licht meiner Taschenlampe ließ Blondy gerade Handschellen einschnappen, zog sich anschließend die blonde Perücke vom Kopf und sagte: »So, mein Junge! Ich bin G-man Phil Decker, FBI New York Distrikt, und du bist vorläufig festgenommen. Steh gefälligst auf, oder glaubst du vielleicht, ich trage dich in die Zelle?«
***
Julia Jackson trug ein schwarzes, oben enganliegendes Abendkleid, das schulterfrei und von silbernen Fäden durchwebt war. Mit ihren naturblonden Haaren und ihren einundzwanzig Lenzen war sie eine strahlende Schönheit. Sie nippte an ihrem Sektkelch, warf einen Blick auf die mit Diamanten besetzte zierliche Uhr und sagte: »Wir müssen langsam ans Aufbrechen denken. Morgen gibt es allerlei zu tun. Die Wahlanalyse von Bratford City liegt vor.«
Ihr Begleiter war ungefähr fünfundzwanzig Jahre alt und hatte ein sonnengebräuntes Gesicht. Sein mitternachtsblauer Abendanzug hätte sich in jedem First-Class-Hotel sehen lassen können, nicht nur in diesem Jazzlokal von Harlem, wo sie saßen. Er nickte zustimmend zu Julias Worten und meinte: »In ein paar Minuten macht die Band sowieso eine Stunde Pause. Aber finden Sie die Jungs nicht großartig?«
Julia nickte.
»Es ist eines der besten Orchester, das ich je gehört habe«, gab sie zu und griff nach ihrem Täschchen. »Schade, daß Daddy so wenig Zeit hat. Die Kapelle würde ihm bestimmt gefallen.«
Der schwarzhäutige Kellner kam heran. Sein weißes Raubtiergebiß leuchtete in der indirekten rötlichen Beleuchtung auf eine gespenstische Weise. Er verbeugte sich und fragte höflich: »Verzeihung — Miß Jackson, nicht wahr?« Julia hob den Kopf. »Ja«, bestätigte sie. »Warum?«
»Mr. Rocky gibt mit seiner Kapelle eine kleine Party im engsten Kreise. Er würde sich sehr freuen, wenn Sie ihm die Ehre gäben.«
Rocky war der Bandleader, und Julia fühlte sich ein wenig geschmeichelt. Da sic durch ihren Vater zur großen Gesellschaft gehörte, kam es zwar oft genug vor, daß sie Einladungen erhielt, aber der große Rocky — das war schon etwas. Sie warf einen zögernden Blick auf ihren Begleiter. Aber dem stand es im Gesicht geschrieben, daß er darauf fieberte, Harlems berühmtestes Jazzorchester aus der Nähe kennenzulernen. Einen Augenblick freilich dachte Julia noch daran, daß sie am Morgen früh aus den Federn mußte.
»Ich denke, die Kapelle spielt ab zwei Uhr wieder?« fragte sie.
Der Kellner schüttelte den Kopf. »Nicht in der Nacht von Sonntag auf Montag, Miß Jackson. Da ist um ein Uhr Schluß.«
»Hm«, murmelte Julia und zögerte noch.
»Bitte«, sagte der junge Mann, mit dem sie gekommen war. »Wenn wir nichts oder wenigstens nicht viel trinken, wird es uns nichts ausmachen, mit ein paar Stunden Schlaf weniger auszukommen, Julia.«
Das blonde Mädchen nickte. »Also gut«, entschied sie. »Wir kommen gern, und selbstverständlich ist es für uns eine große Ehre, daß uns Mr. Rocky einlädt. Wo ist er?«
»Haben Sie einen Wagen draußen?« erkundigte sich der Kellner.
Julia schüttelte den Kopf. »Wir sind mit einem Taxi gekommen.« Sie zeigte auf ihre Sektflasche. »Deshalb. Alkohol am Steuer — Sie wissen schon.«
»Mr. Rocky stellt Ihnen seinen Wagen zur Verfügung, Miß Jackson. Er wartet bereits vor der Tür. Der blaue Cadillac.«
»Dann wollen wir Mr. Rocky nicht warten lassen«, sagte Jjalia und erhob sich. Die Kapelle hatte das Podium bereits geräumt. Seit einem Jahr war Rocky das Tagesgespräch aller musikinteressierten Kreise in Harlem und darüber hinaus. Mit seinem Orchester hatte er einen neuen Sound kreiert und war damit emporgestiegen wie ein Komet. Es gab kein Radioprogramm mehr, das ohne Rockys Aufnahmen hätte auskommen können, und zweimal im Jahre spielte die Band in Las Vegas — zu den höchsten Gagen, die seit Louis Armstrong je dort gezahlt worden waren, wie es hieß.
Der Kellner brachte die Garderobe der jungen Leute. Julia warf ihren leichten Sommerpelz über die bloßen Schultern. Ihr Begleiter hielt ihr die Tür auf. Der Kellner lief voraus zu dem Luxuswagen, der am Gehsteig parkte. Ein dunkelhäutiger Fahrer riß die andere Hecktür für den jungen Mann auf.
»Ich bin ein bißchen neidisch auf Sie, Julia«, sagte der Mann, während der Cadillac schon durch die nächtlichen Straßen von Harlem fuhr. »Ich möchte
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