Jerry Cotton - 0547 - Der Wuerger aus der Todeszelle
zeichnete sich eine quadratische Öffnung ab, in die sich jetzt die schwarze Silhouette eines Männerkopfes schob. Im nächsten Moment traf mich der Strahl der Taschenlampe. Ich schloß geblendet die Augen.
»Wie fühlen Sie sich, Cotton?« fragte Monelli höhnisch.
Blinzelnd hob ich die Lider. Ich drehte den Kopf zur Seite und sah, daß ich etwa zwei Yards unterhalb des Deckels lag. Eine schmale Stahlleiter führte hinauf zu der Öffnung. Neben der Leiter war eine hölzerne Meßlatte angebracht, die offenbar zur Kontrolle des Wasserstandes diente.
»Haben Sie eine Ahnung, wo Sie sich befinden?« fragte Monelli. Da ich ihm nicht antwortete, drehte ich den Kopf zur Seite, um in den Schacht hinabblicken zu können. Monelli tat mir den Gefallen, den Lichtkegel seiner Taschenlampe beiseite zu lenken. Etwa vier Yards unter mir gurgelte eine schwarze, mit häßlichen grauen Schaumblasen bedeckte Brühe. Der Sims, auf dem ich lag, war nicht viel breiter als anderthalb Fuß.
Ich wälzte den Kopf zurück und schloß die Augen.
Monelli lachte leise. »Ich habe lange darüber nachgedacht, wie und wo ich Sie am sichersten festhalten könne. Sie wissen, daß ich Sie töten will. Sie wissen aber auch, daß ich den Wunsch habe, Ihnen die gleichen quälenden Todesvorstellungen aufzuzwingen, mit denen ich mich herumschlagen mußte. Hier bieten sich dafür geradezu einzigartige und ganz hervorragende Möglichkeiten: Dieser Schacht gehört zum sogenannten Paerdegat-Kanalsystem. Sie werden bemerkt haben, daß die Enderbury Road in der Nähe des Paerdegat-Hafenbeckens liegt. Dieser Teil von Brooklyn liegt ziemlich tief und wird durch ein besonderes Kanal-Auffangsystem gegen plötzliches Hochwasser abgesichert. Ich habe mir sagen lassen, daß jeder größere Regenfall das Hochwasser bis zu dem Markierungsstrich treibt, der etwa zwei Fuß über Ihrem Kopf liegt. Mit anderen Worten: Beim nächsten größeren Regenfall sind Sie dran! So, wie ich vor jedem Morgengrauen zittern mußte, werden Sie jetzt vor dem Grollen des Donners zu zittern haben. Good bye, Jerry Cotton - ich wünsche Ihnen bis zu Ihrem Ende noch ein paar vergnügliche Stunden!«
Die Stahlplatte fiel mit einem dumpfen, endgültig anmutenden Laut in ihren Rahmen zurück. Ich war allein.
***
Henry Hopkins erhob sich mitten in der Nacht. Er trommelte mit beiden Fäusten gegen die Tür. Er war endlich zu einem Entschluß gekommen. Der Eisenschieber glitt quietschend zur Seite. »He, was ist denn mit Ihnen los?« fragte der verdutzte Posten unfreundlich.
»Wecken Sie sofort den Direktor oder seinen Stellvertreter, ich muß einen von ihnen sprechen!« forderte Henry Hopkins erregt. »Beeilen Sie sich!«
»Bei Ihnen ist wohl eine Sicherung durchgebrannt?« fragte der Posten. »Legen Sie sich sofort wieder hin!«
Henry umklammerte die Gitterstäbe der Innentür mit beiden Händen. Er rüttelte daran. »Es ist wichtig, es ist…« Er unterbrach sich jäh, als er bemerkte, daß draußen im Korridor das Licht anging. Normalerweise pflegte nachts nur die sogenannte Notbeleuchtung zu brennen.
Henry Hopkins hörte plötzlich Stimmen, Geräusche und Krawall. In dem nahen Zuchthausblock randalierten Gefangene. Sie hämmerten mit ihren Hockern gegen Heizkörper und Türen. Es war ein infernalisches Nachtkonzert, das rasch auf die anderen Blocks Übergriff.
Henry Hopkins merkte, wie sich in seinen Knien eine plötzliche Schwäche ausbreitete. Er war Anwalt und wußte, daß jede Exekution von Protestgeheul der übrigen Gefangenen begleitet wird. Offenbar hatten sie eine besondere Aktivität im Todeshaus festgestellt und daraus naheliegende Schlüsse gezogen.
Schritte ertönten auf dem Korridor. Sie kamen näher und machten vor Henry Hopkins’ Zelle halt. Die Tür wurde geöffnet. Henry Hopkins wich einige Schritte zurück. Er sah einen Geistlichen und einen Herrn im dunklen Anzug, den Zuchthausdirektor. Hinter den beiden Männern drängten sich ein paar Beamte in Uniform.
»Es ist soweit, mein Sohn«, sagte der Geistliche. »Ich bin gekommen, um Ihnen meinen Beistand anzubieten.« Er hatte eine sanfte, angenehme Stimme und ein gütiges Gesicht. Hopkins wollte etwas sagen, aber seine Kehle war wie zugeschnürt. Wer würde ihm schon in dieser Minute die Wahrheit glauben? Sie alle würden doch annehmen, daß er sich mit albernen Ausflüchten vor dem schrecklichen Ende zu drücken versuchte!
Der Zuchthausdirektor räusperte sich. »Sie dürfen noch einen letzten Wunsch äußern,
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