Jerry Cotton - 0547 - Der Wuerger aus der Todeszelle
die Sperrkette vorgelegt. Die junge Frau musterte uns furchtsam und fragte nach unserem Begehr. Ich zeigte ihr meine ID-Card. Am Rock der Frau zerrte ein kleiner Junge. »Ist das wieder so ein böser Mann?« wollte er wissen.
»Sei still, Liebling! Geh in dein Zimmer!«
Der Junge trollte sich. Die junge Frau nahm die Kette ab und ließ uns eintreten. Ich bemerkte, daß Lilian Hopkins einen ängstlichen Blick ins Treppenhaus warf. Nachdem sie hinter uns die Tür geschlossen hatte, hängte sie erneut die Kette ein. Im Wohnzimmer ließ sie sich auch Phils Ausweis zeigen. Sie studierte ihn sehr gründlich, als bezweifle sie seine Echtheit. Ich beobachtete die junge Frau und stellte fest, daß sie noch blasser und nervöser äls am Vorabend aussah.
»Sie kommen wegen Henry?« fragte sie ängstlich, nachdem wir uns gesetzt hatten.
Ich nickte. »Wir wissen allerdings nicht, wo Ihr Mann sich augenblicklich aufhält, Mrs. Hopkins. Wir verfolgen noch keine bestimmte Spur. Ich schicke das voraus, um in Ihnen keine falschen Hoffnungen zu wecken. Ich sage das aber auch, um Sie zu bitten, unsere Fragen nicht falsch auszulegen. Haben Sie ein Bild von ihm?«
Sie erhob sich, kramte in der Schublade einer Kommode und brachte dann das Foto eines ziemlich kräftigen Mannes zum Vorschein. Ich war enttäuscht. Das Gesicht auf dem Bild hatte nach meinem Dafürhalten nicht die geringste Ähnlichkeit mit Hank Monelli - und Ähnlichkeit mußte die unabdingbare Voraussetzung für einen Gefangenenaustausch sein, der von niemand bemerkt werden sollte.
»Das Foto ist schon vier oder fünf Jahre alt«, sagte Lilian Hopkins. »Inzwischen hat Henry sich verändert - sehr zu seinen Ungunsten, fürchte ich. Die Krankheit hat ihn ausgehöhlt und tiefe Furchen in seine Züge gegraben.«
»Welche Krankheit?« fragte Phil interessiert.
Lilian Hopkins begann zu schluchzen. Es dauerte einige Minuten, bevor sie sich beruhigt hatte und uns erklären konnte, daß ihr Mann an einer unheilbaren Krankheit litt und daß ihm voraussichtlich nur noch eine kurze Lebensspanne vergönnt war. »Ich fürchte, Henry will mir diese letzten schrecklichen Wochen ersparen. Aber so ist es für mich viel, viel schlimmer!« meinte sie mit brechender Stimme. »Er braucht mich doch!«
»Sind Sie finanziell abgesichert?« fragte ich.
Lilian Hopkins’ verhangener Blick ging ins Leere. »Ich besitze noch 300 Dollar, das ist alles.«
»Hat Ihr Mann eine Lebensversicherung abgeschlossen?«
»Nein. Er wollte schon vor Jahren eine abschließen, aber keine Gesellschaft war bereit, das hohe Risiko zu tragen.«
Phil und ich wechselten einen kurzen Blick. Lilian Hopkins’ Aussagen gaben uns wertvolle Hinweise auf das Motiv des Anwaltes. Möglicherweise war es ihm nur darum gegangen, die Zukunft seiner Familie zu sichern.
»Wie lief die Praxis Ihres Mannes?« wollte Phil wissen.
»Recht und schlecht«, erwiderte die junge Frau. »Henry ist sehr begabt, aber kein Ellenbogentyp - und das schadet ihm. Außerdem war und ist er durch seine Krankheit gehandicapt.«
»Kennt er einen Mann namens Monelli?«
Die junge Frau hob die Augenbrauen. »Nein«, antwortete sie zögernd.
»Das klingt wenig überzeugend«, meinte Phil.
»Er kennt ihn nicht«, sagte Lilian Hopkins, »aber der Fall hat ihn brennend interessiert. Ich weiß nicht, weshalb. Jedenfalls sammelte Henry alle Zeitungsausschnitte, die mit dem Fall im Zusammenhang standen. Merkwürdig, daß Sie mich danach fragen!«
Wir erhoben uns. »Wie ich schon sagte, dürfen Sie aus dieser kurzen Unterhaltung keine falschen Schlüsse ziehen«, erklärte ich. »Ich hoffe jedoch, daß wir schon sehr bald etwas für Sie und Ihren Mann tun können. Wer hat Sie übrigens heute besucht?«
Plötzliche Röte schoß in die Wangen der jungen Frau. »Wer hätte mich besuchen sollen?«
»Ihr Junge sprach von einem bösen Mann«, stellte ich fest. »Wer war es?«
»Sie wissen ja, wie Kinder sind«, meinte sie rasch. »Man darf ihr Geplapper nicht ernst nehmen!«
***
»Warum lügt sie?« fragte Phil auf der Fahrt zum Office.
Ich zuckte die Schultern. »Jemand hat sie unter Druck gesetzt. Ich nehme an, daß sie es um ihres Mannes willen tut.«
»Du glaubst tatsächlich, daß Hopkins für Monelli in die Todeszelle gegangen ist?«
»Ja. Es ist die einzige Erklärung dafür, daß Tony Carter erwürgt wurde und daß Crampton steif und fest behauptet, Hank Monelli gesehen zu haben - ganz zu schweigen von der albernen Drohung in meiner
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