Jerry Cotton - 0554 - Das Geheimnis der Millionenbande
dem Schlitten und überquerte den gepflasterten Vorplatz. Die Telefonzellen waren erleuchtet, aber ich sah niemanden. Ich blieb stehen und sah mich um.
»Hier bin ich, G-man!« rief eine Männerstimme. Aus den Schlagschatten der Büsche, die den Eingang der Plaza säumen, löste sich die Gestalt Rowskys. Er kam hastig auf mich zu. Ich ging ihm entgegen.
Der Schuß knallte so scharf wie ein Peitschenschlag. Die Kugel traf Rowsky genau in die Stirn. Ich erkannte es an der furchtbaren Wucht, mit der sein Kopf in den Nacken geschleudert wurde. Der Mann war schon tot, als sein Körper auf dem regennassen Pflaster aufschlug.
Ich wirbelte herum. In der Drehung riß ich den 38er aus der Halfter. Die Bewegung rettete mich, denn der zweite Schuß knallte, und die Kugel pfiff so nahe an meinem rechten Ohr vorbei, daß das schrille Pfeifen wie das Geräusch einer Kreissäge in mein Gehirn schnitt. Aber ich sah auch das Aufzucken des Mündungsfeuers. Mehr als hundert Yard weiter im Hauptweg des Rummelplatzes war die bläuliche Flamme aufgeblitzt. Die Gestalt des Schützen konnte ich nicht erkennen, denn er verbarg sich im Gerüst eines Karussells.
Die Entfernung war zu groß, um gezielt zurückzuschießen. Ich rannte in langen Sätzen den Hauptweg entlang, und ein paar häßliche Gedanken schossen dabei durch mein Gehirn. Der Mörder hatte Rowsky auf hundert Yard Entfernung in den Kopf getroffen. Er benutzte offensichtlich ein Gewehr mit einem Zielfernrohr.
Jeder Schritt brachte mich näher an ihn heran und machte ihm das Zielen leichter. Wenn er die Nerven behielt, wenn er jetzt, da ich auf ihn zurannte, seine Waffe zum drittenmal an, die Wange setzte, dann hatte er mich jetzt voll im Glas des Zielfernrohrs, und das Fadenkreuz wies auf meine Stirn oder auf meine Brust.
Ich schlug Haken wie ein Hase. Es war überflüssig. Es fiel kein dritter Schuß. Ich erreichte das Karussell, flankte aus dem Lauf heraus über die Barriere und rutschte auf dem Boden so aus, daß ich einige Yard weit rutschte. Das Unternehmen war ein Auto-Scooter, und der mit Blech beschlagene Boden war naß und so glatt wie Eis.
Ich kam wieder auf die Füße. Der Schütze konnte nur über die Rückfront geflohen sein. Ich erreichte das hintere Gelände, schwang mich darüber und landete im aufgeweichten Lehm zwischen den Gerätewagen. Rechts neben mir spürte ich eine Bewegung, fuhr herum und sah schattengleich die Umrisse einer Gestalt.
Mir blieb keine andere Wahl, als mich mit einem Panthersatz auf den Mann zu stürzen. Mit dem ganzen Körpergewicht prallte ich gegen ihn und warf ihn gegen die Stützkonstruktion des Auto-Scooters. Der Mann wehrte sich nicht, aber unmittelbar neben ihm schrie ein Mädchen gellend auf.
Ich packte zu und bekam eine Lederjacke zu fassen. Ich zog mein Opfer so nahe an mich heran, daß ich trotz der Dunkelheit das Gesicht sehen konnte, und blickte in die weit aufgerissenen Augen eines Jungen von siebzehn oder achtzehn Jahren. Ich hatte einen Boy und ein Girl aufgescheucht, die sich für ein paar Küsse in das Dunkel der Karussell-Rückfront gedrückt hatten. Das Mädchen schrie wie am Spieß!
»Halt den Mund!« brüllte ich. Um einen Menschen aus der Panik zurückzuholen, muß man ihn anschnauzen. Das Girl reagierte, verstummte erschreckt und blieb wie erstarrt stehen.
»Hast du die Schüsse gehört?« fuhr ich den Jungen an.
»Ja…« stammelte er. »Direkt über uns!«
»Jemanden gesehen?«
»Einen Mann. Er sprang über das Geländer wie Sie, aber weiter hinten. Er trug etwas in der Hand, vielleicht ein Gewehr. Er lief dorthin!« Der Boy wies in Richtung auf die Gasse zwischen den Buden und Wohnwagen. Ich ließ ihn los und rannte in die Dunkelheit hinein. Es war eine Art Hindernisrennen. Ich sprang und stolperte über eine Menge Verstrebungsdrähte, abgestelltes Gerät, rannte gegen provisorisch aufgebaute Leitungsmaste und platschte durch aufspritzende Pfützen.
Ich erwischte den Mann nicht. Lange bevor ich die Ostgrenze des Cadman-Plaza erreicht hatte, hörte ich das Aufheulen eines Automotors, und ich wußte sofort, daß mit diesem Wagen der Mörder floh. Nur jemand, der flieht, fährt ein Auto so überhastet an. Ich erreichte die Fulton-Street, aber ich bekam den Wagen nicht mehr zu Gesicht. Das Motorengeräusch verwehte in der Ferne und ging unter in den mannigfachen Geräuschen der Stadt. Ich drehte mich um und lief zum Eingang zurück. Trotz des Regens hatten sich einige Dutzend Menschen um den Erschossenen
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