Jerry Cotton - 0561 - Die vertauschte Moerderin
Pistole darin. Die Millionärin starrte auf die Waffe wie hypnotisiert. »Ich verstehe nicht…«,stammelte sie.
»Das versteht jeder«, sagte die andere. Der Finger krümmte sich. Dreimal blaffte die Pistole.
***
Bläulicher Rauch zog in dünnen Fäden durch den Raum. Die Frau mit der Sonnenbrille lauschte. Es blieb still im Haus.
Sie holte aus der Liftkabine den Krokodillederkoffer, öffnete ihn, schritt über den zusammengekrümmten Körper der Millionärin hinweg und pflückte die Schmuckstücke aus dem Samt wie reife Früchte. Sie arbeitete schnell, aber ohne Hast. Was sorgfältig auf dem Samt ausgebreitet gewesen war, vermengte sich in dem Koffer zu einem Gewirr von Metall, Ringen, Perlen, Edelsteinen.
Die Frau schloß den Koffer ab und hob ihn hoch. Er war so schwer, daß sie mit Sorgen daran dachte, ob sie ihn unauffällig durch die Halle tragen können würde.
Sie schob den Koffer in den Lift, drehte sich um und blickte zwei Sekunden lang auf die Tote. Dann ging sie zu ihr, bückte sich und drehte den auf der Seite liegenden Körper auf den Rücken. Die Arme der Toten schlugen auseinander. Die Frau zog die beiden Ringe ab, löste die große Brosche und schob alles in die Taschen ihres blauen Kostüms.
Sie fuhr mit dem Lift hoch, ging vom Schlafraum in das Arbeitszimmer. Sie klemmte ein rundes Blechgebilde auf das Mikrofon der Haussprechanlage. Dann drückte sie den Ruf knöpf. Der Butler James meldete sich. »Bitte, Madam?«
»Miß Jagg wird noch einmal nach New York zurückfahren, um sich ein neues Abendkleid zu holen. Lassen Sie sie passieren, James.«
»Verzeihung, Madam, ich verstehe Sie nicht.«
»Zum Teufel, James, auch ich verstehe Sie schlecht. Ihre Stimme klingt ganz verzerrt. Was ist an dieser verdammten Sprechanlage nicht in Ordnung? Sie sollen Miß Jagg passieren lassen. Haben Sie jetzt verstanden?«
»Miß Jagg verläßt die Villa?«
»Genau! Und bestellen Sie einen Mann, der die Anlage repariert.«
»Ich werde mich selber bemühen, Madam.«
Die Frau schaltete aus, nahm den Verzerr er vom Mikrofon, sah sich noch einmal um und verließ den Raum. Sie ging die Treppe hinunter. Am Ende der Halle wartete der Butler. Sie lächelte ihn an.
»Tut mir leid«, sagte sie leichthin, »aber Ihrer Chefin gefällt mein Kleid nicht.«
»Mrs. Flinter hat einen etwas ausgefallenen Geschmack, Miß Jagg«, antwortete er und begleitete sie zur Tür. Er wartete, bis sie in den Morris gestiegen war. Dann ging er zur Schaltanlage, wartete, bis der Wagen auf dem Fernsehschirm vor dem Tor erschien, und öffnete das Tor.
Er begann die Hausrufanlage zu überprüfen. Er sprach mit der Köchin, dem Fahrer in der Garage und den Angestellten in den anderen Räumen. Die Verständigung war einwandfrei. James betätigte den Ruf knöpf für Mrs. Flinters Arbeitszimmer. Niemand meldete sich. Er probierte es noch einige Male. Obwohl er fürchtete, von Eleonor Flinter angeschrien zu werden, weil er ohne ihre Erlaubnis das obere Stockwerk betrat, entschloß er sich hinaufzugehen.
***
Als Diane Jagg die Augen auf schlug, empfand sie als erstes den widerwärtigen süßlichen Geschmack von Äther. Sie richtete sich auf. In ihren Knien hatte sie das Gefühl von Watte. Ihre Erinnerung an das, was geschehen war, kehrte zurück. Der Mann mit der Signalfahne hatte die Tür aufgerissen und sich auf sie gestürzt. Sie hatte sich mit einem Karateschlag mitten in sein narbiges Gesicht gewehrt, aber die Enge im Morris hatte ihr nicht gestattet, den Mann mit voller Wucht zu treffen. Immerhin hatte sie ihn gestoppt, und vielleicht wäre sie mit ihm fertig geworden, wenn nicht der Mann vom Räumbagger die Tür auf der Fahrerseite aufgerissen, in ihr Haar gegriffen und ihren Kopf in den Nacken gerissen hätte. Die Männer hatten sie aus dem Wagen gezerrt. Schemenhaft waren, während sie sich mit den Kerlen herumschlug, andere Gestalten vor ihren Augen aufgetaucht. Das Ende war gekommen, als irgendwer ihr einen dicken, mit Äther getränkten Wattebausch auf das Gesicht gepreßt hatte. Von allem, was danach geschehen war bis zum Augenblick, in dem sie erwachte, wußte sie nichts.
Ihr Gefängnis war ein kleines Zimmer. Ein schmaler Schlitz ließ das Tageslicht einfallen. Die Wände bestanden aus massiven Holzbohlen, der Boden aus gestampfter Erde. Diane Jagg ging zu dem fensterlosen Spalt und spähte hinaus. Sie sah Bäume und Sträucher. Offenbar befand sie sich in einer Blockhütte, die weitab von der Straße in einem Waldgelände
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