Jerry Cotton - 0589 - Ein Toter stellt die Falle
ständig herum. Gestern abend bin ich ihnen bis in Harrys Bar in der 34. Straße gefolgt und dadurch auf Sie, Don, gestoßen.«
Ich sagte: »Naila und Rogers arbeiten auch für Greely?«
»Ja, warum interessiert Sie das?«
»Ich wohne im selben Hotel wie Rogers. Er hat dort gestern nachmittag ein Mädchen belästigt. Dabei bin ich mit ihm zusammengestoßen.«
Ich stand auf, ging zum Fenster und sah hinauf in den verwilderten Garten.
Ohne mich umzudrehen, sagte ich: »Ida — ich darf Sie doch so nennen —, seit wann arbeiten Sie für das Syndikat?«
»Seit achtzehn Monaten.«
Ich spürte, daß sie lächelte. »Ich war verheiratet, Don. Mein Mann war erst Privatdetektiv, arbeitete dann für einen Konzern, wie er mir sagte. Der Konzern war das Syndikat und Greely sein Chef. Ich habe das erst erfahren, als Richard im Sterben lag. Leberkrebs. Er ist scheußlich gestorben. Er war zweiundzwanzig Jahre älter als ich.«
»Sie traten im Konzern an seine Stelle?«
»Nicht ganz. Ich habe zwar etwas Talent als Detektivin, aber sonst kann ich nicht viel leisten. Nach Richards Tod kam Greely und kaufte mich ein. Das heißt: Er ließ mir keine Wahl.«
Ich drehte mich um. »Wieso?«
»Greely erklärte, ich sei durch meinen Mann so tief eingeweiht, daß ich wohl oder übel beim Syndikat mitmachen müsse. Ein derartiges Risiko wie mich könne sich die Organisation nicht leisten. Entweder mitmachen, oder… Er war damals so charpiant wie immer. Aber ich weiß, er hätte mich kaltblütig umbringen lassen, wenn ich nein gesagt hätte.«
Sie warf die benutzten Pappteller, Becher und Servietten in die Papiertüte. »Nur eins kann ich Ihnen versichern, Don. Ich brauchte in diesen achtzehn Monaten nie etwas zu tun, wofür ich mich schämen müßte. Ich habe herumspioniert, beschattet, Botengänge erledigt, Adressen festgestellt. Aber ich habe nie jemanden ans Messer geliefert. Wollte ein Staatsanwalt gegen mich Anklage erheben, müßte er kleine Delikte zusammenklauben. Schwer wiegt nur die Tatsache, daß ich zum Syndikat gehöre — Jerry.«
»Wie bitte?« Meine Rückenmuskeln versteiften sich.
Ida lächelte. »Sie haben sich nicht verhört. Ich sagte: Jerry.«
»Ich heiße Don.« , Sie schüttelte den Kopf. »Vertrauen gegen Vertrauen, Jerry.«
Sie hatte mich erkannt. Ich war wie vor den Kopf geschlagen. Erst eine stundenlange Komödie, und jetzt gab sie es zu. Ich begriff nicht. Was hatte sie vor?
»Seit wann wissen Sie es, Ida?«
»Seit heute nacht.«
»Sie haben mich auf dem Pier erkannt?«
»Nein.«
»Sondern?«
»Sie kamen mir irgendwie vertraut vor. Aber ich wußte nicht, wo ich Sie hinstecken sollte. Nach Mitternacht, als Greely und Sie weg waren, hatte ich Zeit, darüber nachzudenken. Ich wußte, daß ich Ihnen noch nicht begegnet war. Also mußte ich Sie irgendwo auf einem Bild gesehen haben: in der Zeitung oder im Fernsehen. Ich habe sogar an einen Steckbrief gedacht. Aber dann ist mir das Richtige eingefallen: das Archiv.«
»Wie bitte?«
Sie lächelte. »Sie müssen wissen, Jerry, mein Mann war sehr vorsichtig. Er sammelte Fotos von allen wichtigen Leuten in der Stadt, vornehmlich von Polizisten. Die Gefährlichen, wie er sie nannte, stellte er zu einer Kartei zusammen. Es sind etwa zwei Dutzend Namen: von der Stadtpolizei, von der Kriminalabteilung, vom CIA und vom FBI. Richard kannte sie alle. Natürlich nicht persönlich, aber er wußte die Namen, und er wußte, wie die Männer aussehen. Wenn von ihnen keine Bilder existierten, fotografierte er sie heimlich mit versteckter Kamera. Sie, Jerry, sind einer der ersten in Richards Archiv. Ich weiß viel über Sie und Ihre Gewohnheiten, auch über Ihren Freund Phil Decker. Ich kenne die Nummer Ihres roten Jaguar und Ihre Adresse.«
»Jetzt fehlt nur noch, daß dieses schöne Archiv in falsche Hände gerät.«
»Keine Sorge. Ich habe es gut verwahrt. Außer Ihnen und mir weiß niemand davon.«
Ich sah sie lange an. Ihr Gesicht war heiter. Unbefangen erwiderte sie meinen Blick.
»Sie sind sich doch darüber klar, Ida, daß ich alles tun werde, um Ihren Brötchengeber aufs Kreuz zu legen.«
»Natürlich.«
»Wollen Sie mir dabei helfen?«
»So gut ich kann, Jerry. Bringt mir das mildernde Umstände ein?«
»Sicherlich. Jedenfalls werde ich mich für Sie verwenden.«
Wir verließen das Haus um viertel vor elf. Ida schloß ab. Rogers und Naila waren längst nicht mehr in Port Jefferson. Es wurde heißer von Stunde zu Stunde. Die Luft war grell.
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