Jerry Cotton - 2911 - Jung schoen und toedlich
natürlich! Ich erhalte viel Besuch. Dafür gibt es eine einfache Erklärung. Ich pflege gute und enge Kontakte zu den Mitbürgern in meinem Viertel. Sie wissen sicherlich, dass ich im Rahmen meiner Möglichkeiten einige Leistungen für die Allgemeinheit erbracht habe. Deshalb genieße ich auch ein gewisses Ansehen in East Harlem – Spanish Harlem, wie ich es lieber nenne.«
»Darüber wollen wir gern noch reden«, erwiderte ich. »Aber bleiben wir erst mal bei Goran Shames’ Tod. Der Mann war immerhin Unterboss Ihres schärfsten Konkurrenten. Sein Tod war eine Gangland-Hinrichtung, wenn auch stümperhaft ausgeführt. Wer, wenn nicht Sie, sollte ein Interesse daran gehabt haben, ihn zu beseitigen?«
»Lance Abbott ist dabei, sich sein altes Terrain zurückzuholen«, ergänzte Phil. »Der Tod seines Unterbosses ist ein schwerer Schlag für ihn. Vielleicht ein entscheidender Schlag.«
Rojas setzte wieder sein überlegenes Lächeln auf. »Sie unterstellen mir Ungeheuerliches, Agents. Sehen Sie mich an!« Mit der linken Hand zeigte er auf seine Fesseln. »Sieht so ein Mann aus, der die Macht und den Einfluss hat, um Mordaufträge zu erteilen? Das ist es doch, was mir Ihre Freunde, die Staatsanwälte, anhängen möchten. Dabei müssten Sie es doch am besten wissen: Sie haben meine gesamten Geschäftsgrundlagen zerstört, als Sie meine Freunde und mich hinter Gitter gebracht haben. Ich bin nur noch das, was Sie hier vor sich sehen – ein zur Hilflosigkeit verdammter Strafgefangener wie Hunderte andere auf dieser Insel.«
»Mister Rojas«, sagte ich eindringlich. »Nehmen wir mal an, Sie wären wirklich so ein bedauernswertes Häufchen Elend, wie Sie es darstellen. Das ändert aber nichts an den guten Kontakten zu den Menschen in Ihrem Viertel, wie Sie sie gerade beschrieben haben. Und wenn es ein neuer Konkurrent sein sollte, der sich zwischen Abbott und Sie zu drängen versucht, dann sollten Sie umso mehr daran interessiert sein, uns zu sagen, wer es ist.«
Der Kubaner seufzte. »Ach, ich würde Ihnen ja so gerne helfen, Agents. Glauben Sie mir, ich würde selbst gern wissen, wer Goran Shames umgebracht hat. Letzten Endes ist es in meinem Viertel passiert. Aber die Menschen, mit denen ich Kontakt habe, wissen nichts darüber. Wenn es anders wäre, würde ich es Ihnen sagen. Ich bin doch auch daran interessiert, dass in Spanish Harlem geordnete Verhältnisse herrschen, wenn ich eines Tages zurückkehre.«
»An einen Ort, an dem Sie ein großes Ansehen genießen«, kehrte ich auf den Punkt von vorhin zurück. »Sie haben viele gute Kontakte zu den Menschen, nicht zuletzt, weil Sie großzügige Spenden für öffentliche Einrichtungen geleistet haben.«
»Das ist richtig«, antwortete er stolz und strahlte.
»Sagt Ihnen der Name Jessica Gonçalves etwas?«
Er tat, als hätte er die Frage überhört. »Wissen Sie was?«, rief er, als wäre ihm plötzlich etwas eingefallen. »Eigentlich kann ich ja heilfroh sein, dass ich hier auf Rikers Island sitze.«
Phil und ich wechselten einen Blick. Wir wussten beide, was jetzt kommen würde. Phil verdrehte genervt die Augen. Ich selbst konnte mir diese Reaktion gerade noch verkneifen.
»Ja, wirklich!«, bekräftigte Rojas. »Wenn ich draußen wäre, würde man mir doch sofort die Schuld an Shames’ Tod geben.«
»Wen meinen Sie mit ›man‹?«, fragte Phil.
»Na, Sie und Ihre Kollegen – einerseits. Andererseits natürlich Abbott und seine Leute. Und ich wäre so richtig in der Zwickmühle. Aber da ich weggeschlossen bin, zusammen mit meinen Männern, kann mir keiner was wollen. Im Grunde eine ideale Situation, wenn es nicht die Unannehmlichkeiten des Gefängnisalltags gäbe.«
Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen. »Jeder hält Sie für ein Unschuldslamm in seiner reinsten Erscheinungsform«, spottete ich.
»Das will ich meinen«, unterstrich Rojas meine Bemerkung mit einem energischen Nicken.
»Sagt Ihnen der Name Jessica Gonçalves etwas?«, wiederholte ich meine Frage.
»Jessica?« Er hob die Brauen und riss die Augen weit auf. Dazu strahlte er wieder, diesmal wie ein Honigkuchenpferd. »Ach, die kleine Jessica! Was für ein süßer Fratz! Natürlich haben Sie in Ihrem Archiv gestöbert und die Zeitungsartikel gelesen. Damals, als ich diesen Sprungturm gestiftet habe, war sie die Krönung meines Auftritts. Sie war zu der Zeit eine aktive Schwimmerin und Turmspringerin. Inzwischen hat sie das wohl aufgegeben. Aber sie hat mir noch ein paar Mal als
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