Jerusalem: Die Biographie (German Edition)
bereitete den Bau in allen Einzelheiten vor. Er ließ tausend Priester zu Baumeistern ausbilden. Libanesische Zedernwälder wurden abgeholzt und die Stämme an der Küste entlang geflößt. Steinbrüche in der Umgebung Jerusalems fertigten und lieferten massive Hausteine aus schimmernd gelbem und nahezu weißem Kalkstein. Tausend Wagen wurden für die riesigen Steinquader beschafft. In den Tunneln am Tempelberg gibt es einen Quader von 13,5 Metern Länge und 3,30 Metern Höhe, der 600 Tonnen wiegt. [52] Da unter Salomo kein Lärm, kein Hämmern den Tempel während des Baus verunreinigt hatte, ließ Herodes alle Bauteile abseits der Baustelle anfertigen und an Ort und Stelle still zusammensetzen. Das Allerheiligste war nach zwei Jahren fertig, aber der gesamte Komplex wurde erst nach achtzig Jahren vollendet.
Herodes trug alles bis auf den Felsen ab und errichtete darauf den Neubau. Dabei zerstörte er vermutlich sämtliche Überreste der Tempel Salomos und Serubbabels. Im Osten begrenzte das steile Kidrontal den Bauplatz, aber nach Süden erweiterte er den Tempelberg durch einen Unterbau mit 88 Säulen und zwölf Gewölben, die heute die Ställe Salomos genannt werden und eine 12 000 Quadratmeter große Plattform tragen, doppelt so groß wie das Forum in Rom. In der Ostmauer ist der Ansatz des Erweiterungsbaus 32 Meter von der Südwestecke heute noch gut zu erkennen: Links sind Herodes’ Steinquader, rechts die kleineren Steine der Makkabäer.
Eine Reihe von Höfen abnehmender Größe führte in zunehmend heiligere Tempelbereiche. Juden und Nichtjuden durften den weiten Hof der Heiden betreten, aber an der Mauer, die den Hof der Frauen umgab, warnte eine Inschrift:
FREMDER! TRITT NICHT DURCH DAS GITTER
UND DIE ABTRENNUNG UM DEN TEMPEL
WER DORT ENTDECKT WIRD,
TRÄGT SELBST DIE SCHULD AN SEINEM TOD,
DER DARAUF FOLGT
Fünfzig Stufen führten zu einem Tor in den Hof der Israeliten, der jedem männlichen Juden offen stand; daran schloss sich der Hof der Priester an, den nur sie betreten durften. Auf ihm befand sich das Heiligtum, Hekal, mit dem Allerheiligsten. Es stand auf dem Felsen, auf dem Abraham angeblich beinahe Isaak geopfert hätte und auf dem David seinen Altar baute. Hier wurde auf dem Brandopferaltar geopfert, der zum Hof der Frauen und zum Ölberg ausgerichtet war.
Herodes’ Burg Antonia bewachte den Tempelberg im Norden. Von dort ließ Herodes einen Geheimgang zum Tempel bauen. Von Süden erreichte man den Tempel über eine monumentale Freitreppe, gefolgt vom Zweier- und Dreiertor und unterirdischen Gängen, die mit Tauben und Blumen verziert waren und in den Tempel führten. Das Tal im Westen überspannte eine monumentale Brücke, die zugleich als Aquädukt diente, um Wasser in große, unterirdische Zisternen zu bringen. In der schroffen Ostmauer befand sich das Schuschan-Tor, das nur der Hohepriester benutzte, um zur Vollmondweihe oder zur Opferung des seltensten und heiligsten Opfers, der makellosen roten Kuh, auf den Ölberg zu gehen. [53]
An allen vier Außenmauern liefen Säulengänge; die größte Säulenhalle war die Königsbasilika, die den ganzen Berg dominierte. In Herodes’ Stadt lebten etwa 70 000 Einwohner, aber an Festtagen strömten Hunderttausende Pilger nach Jerusalem. Wie jedes rege besuchte Heiligtum brauchte auch der Tempel einen Platz, an dem Freunde sich treffen und Rituale vorbereitet werden konnten. Das war die Königsbasilika. Eintreffende Besucher konnten in der geschäftigen Ladenzeile in den riesigen Bogengängen entlang der Westmauer einkaufen. Wenn es an der Zeit war, den Tempel aufzusuchen, nahmen sie reinigende Bäder in den zahlreichen Mikwen, den Ritualbädern, die man an den Südeingängen gefunden hat. Anschließend gingen sie eine der Freitreppen hinauf, die in die Königsbasilika führten, wo sie sämtliche Sehenswürdigkeiten der Stadt sahen, bevor es Zeit zum Gebet war.
An der Südostecke bildeten die schroffen Felswände und Klippen des Kidrontals eine Zinne, auf der laut Evangelien der Teufel Jesus in Versuchung führte. An der Südwestecke mit Blick auf die reiche Oberstadt verkündeten Priester den Beginn der Feste und des Sabbats am Freitagabend mit Trompetenstößen, die in den öden Felsschluchten widergehallt haben müssen. Auf einem Stein, den Titus 70 n.Chr. in die Tiefe werfen ließ, stand »Trompetenplatz«.
Die Tempelanlage, die unter der Leitung des Königs und seiner anonymen Architekten entstand (man fand eine Gebeinurne mit der Aufschrift
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