Jerusalem
schärfer, unterscheidbar, und das bedeutete, dass es näher kam. Sie hörten deutlich die Rufe der Priester und die Gebete; die morgendlichen Messopfer hatten angefangen.
Einen schauerlichen Atemzug später sahen die Wachen eine Schar rennender Bewaffneter hinter den Felsen und dem kahlen Eichengestrüpp auftauchen, von denen die Straße gesäumt war. Hinter den Männern, die in großer Furcht vor etwas Unsichtbarem flüchteten, erkannten sie einen einzelnen Reiter und dessen Fahne. Ritter Hugo von Tübingen.
Abermals einige Herzschläge danach blinkte ein Speer durch die Luft und bohrte sich tief in Ritter Hugos Rücken. Der Reiter ließ die Zügel los, breitete die Arme aus, riss sie in die Höhe und kippte über die Kruppe des Pferdes, das schäumenden Mauls weitergaloppierte und einige Flüchtende umrannte. Hugo von Tübingen fiel auf den Rücken und rammte sich selbst die Lanze durch den Leib, sodass sie mitten auf der Brust in einem gewaltigen Blutschwall hervorkam.
Jetzt begannen die Torwachen in großem Entsetzen zu schreien. Die Priester hörten zu singen auf; einige Kinder kreischten. Der Gesang einer frommen Gruppe verstummte jäh.
Kapitel XVI
A.D. 1096, 21. T AG DES W EINMONDS (O KTOBER ),
SPÄTER M ORGEN
I N C IVETOT
»Alles Fleisches Ende ist vor mich gekommen; denn die Erde ist voll Frevels, und siehe da, ich will sie verderben.«
(1.Mose 6,13)
Die erste Welle der flüchtenden Fußkämpfer brandete gegen den Durchlass des südlichen Tors. Zwischen der nächsten Horde sah man einige Ritter und Kriegsknechte zu Pferde. Hinter der kaum überschaubaren Menge erschienen die ersten Reihen der berittenen Seldschuken, vor denen Hagelschauer aus Pfeilen zu wüten schienen; einzeln und reihenweise fielen die Fußkämpfer unter den todbringenden Geschossen.
Die Flüchtenden zwängten sich durch die Engstelle des Tors. Ohne zu wissen, was vor sich ging, rannten Kinder, Mädchen und Frauen zum Strandtor und hetzten den Hang hinunter zum Wasser.
Bald stauten sich Tausende vor dem nördlichen Tor. In dieser schreienden Masse, in der sich Menschen gegenseitig fluchend und kreischend zu Tode traten, schufen sich Berittene ein wenig Raum und versuchten, sich den nachdrängenden Seldschuken entgegenzuwerfen. Walter von Teck sah man, die Brüder von Zimmern, Albert und Konradt, Gottfried Burel, vom Nasenbein bis zu den Pferdehufen von geronnenem Blut bedeckt, und Wilhelm von Poissy. Sie kämpften wie die Rasenden, wurden aber von der Menge eingeschlossen und zum Tor gedrängt. Walter von Teck starb durch mehr als ein Dutzend Pfeile, die fast gleichzeitig in seinen Körper einschlugen, und ein aufblitzendes Krummschwert trennte den Kopf seines Pferdes vom Rumpf, noch bevor der Ritter tot zu Boden gesunken war.
Unzählbar, unüberschaubar groß war die Zahl der Angreifer, die von der Straße nachdrängten und mit wildem Kampfgeschrei an Hunderten Stellen gleichzeitig aus dem Wald hervordrangen; Reiter und fußkämpfende Bogenschützen, deren Pferde man ihnen hinterherführte.
Von blutenden Wunden bedeckt sank Rudolf von Brandis innerhalb der Palisaden vom Pferd. Seine Knechte und Knappen schleppten ihn in einer ledernen Decke, aus der das Blut tropfte, zum Südtor und von dort, in lebensgefährlichem Galopp, den Strand entlang nach Sonnenuntergang; dort sollte man, hatten manche Priester verbreitet, sich verstecken können.
Unzählige wütende und blutige Einzelkämpfe brachen an ebenso vielen Stellen der Mauern und Palisaden aus. Es dauerte keine halbe Stunde, bis die Menge vor dem Südtor von einem Halbkreis der Feinde eingeschlossen war. An drei Stellen brannten die ausgedörrten Palisaden der Brustwehr.
Friedrich von Zimmern, der mit den meisten seiner Getreuen von der Masse der Verfolger schon nach Civetot hineingepresst worden war, ließ, stöhnend und fluchend, Gott anrufend, im Sattel, ungeduldig die schlimmsten seiner Wunden verbinden und versuchte, im letzten Aufflammen seiner Kräfte, eindringende Seldschuken niederzuhauen.
Seine Mannen, allesamt schwer gezeichnet, zwangen ihn nach nutzlosen Waffengängen, sich mit ihnen im Pinienwald vor Helenopolis zu verstecken. Überall im Rund blitzten die langen Krummschwerter der Seldschuken auf, von überall her ertönten Kreischen und Heulen. Soldaten, Frauen, alte Männer und junge Kämpfer wurden niedergemetzelt, als genügend Seldschuken eingedrungen waren und Feuer an die Tortürme gelegt hatten. Aber jetzt hackten die Alten brennendes Holz aus
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