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Jesus von Nazareth - Band II

Jesus von Nazareth - Band II

Titel: Jesus von Nazareth - Band II Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benedikt XVI
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Nichtwissenden, den Henkern, wie bei den Wissenden, die ihn verurteilt hatten, ihr Nichtwissen zum Grund der Bitte um Vergebung macht – es als Tür ansieht, die uns der Bekehrung öffnen kann.

Die Verspottung Jesu
     
    D rei Gruppen von Spöttern erscheinen im Evangelium. Als erste die Vorübergehenden. Sie rufen dem Herrn erneut das Wort von der Tempelzerstörung zu: „Ach, du willst den Tempel niederreißen und in drei Tagen wieder aufbauen? Hilf dir doch selbst und steig herab vom Kreuz!“ (Mk 15,29f). Die Menschen, die den Herrn auf diese Weise verhöhnen, drücken damit ihre Verachtung für den Ohnmächtigen aus, lassen ihn seine Ohnmacht noch einmal spüren. Zugleich wollen sie ihn in Versuchung führen wie einst der Teufel: „Hilf dir doch selbst!“ Nimm deine Macht in Anspruch! Sie wissen nicht, dass gerade in diesem Augenblick die Zerstörung des Tempels geschieht und dass der neue Tempel auf solche Weise entsteht.
    Am Ende der Passion, mit dem Tode Jesu, reißt der Vorhang des Tempels – so berichten die Synoptiker – von oben bis unten entzwei (Mt 27,51; Mk 15,38; Lk 23,45).Wahrscheinlich ist an den inneren der beiden Tempelvorhänge gedacht, den Vorhang, der das Allerheiligste dem Zutritt der Menschen verschließt. Nur einmal im Jahr darf der Hohepriester den Vorhang durchschreiten, vor das Angesicht des Allerhöchsten treten und dessen heiligen Namen aussprechen.
    Nun, im Augenblick des Todes Jesu, reißt dieser Vorhang von oben bis unten entzwei. Darin ist zweierlei angesagt: Zum einen wird sichtbar, dass die Zeit des alten Tempels und seiner Opfer zu Ende ist; dass an die Stelle der Vorbilder und der Rituale, die in die Zukunft wiesen, nun die Wirklichkeit selbst tritt, der gekreuzigte Jesus, der uns alle mit dem Vater versöhnt. Zugleich aber bedeutet das Zerreißen des Tempelvorhangs, dass nun der Zugang zu Gott frei ist. Bisher war Gottes Gesicht verhüllt gewesen. Nur zeichenhaft konnte einmal im Jahr der Hohepriester vor ihn hintreten. Jetzt hat Gott selbst den Vorhang weggenommen, sich im Gekreuzigten als der bis in den Tod hinein Liebende gezeigt. Der Zugang zu Gott ist frei.
     
    Die zweite Gruppe von Spöttern besteht aus den Mitgliedern des Synedriums. Matthäus erwähnt alle drei Fraktionen: Priester, Schriftgelehrte und Älteste. Sie formen ihr Spottwort im Anschluss an das Buch der Weisheit, das im 2.   Kapitel von dem Gerechten spricht, der dem boshaften Leben der anderen im Weg steht, der sich als Sohn Gottes bezeichnet und dem Leiden überliefert wird (Weish 2,10   –   20). Nun sagen die Mitglieder des Synedriums im Anschluss an diese Worte über Jesus, den Gekreuzigten: „Er ist doch der König von Israel! Er soll vom Kreuz herabsteigen, dann werden wir an ihn glauben. Er hat auf Gottvertraut: der soll ihn jetzt retten, wenn er an ihm Gefallen hat; er hat doch gesagt: Ich bin Gottes Sohn“ (Mt 27,42f; Weish 2,18). Ohne dass die Spötter es merken, erkennen sie damit an, dass Jesus wirklich derjenige ist, von dem das Weisheits-Buch redet. Gerade in der Situation der äußeren Hilflosigkeit erweist er sich als der wahre Sohn Gottes.
    Wir dürfen hinzunehmen, dass das Weisheits-Buch möglicherweise Platons Gedankenexperiment aus seinem Werk über das Staatswesen kannte, in dem er die Idee durchspielt, wie es dem vollkommen Gerechten in dieser Welt gehen müsse, und zu dem Ergebnis kommt, er werde gekreuzigt werden (
Politeia
II, 361 e–362 a). Das Weisheits-Buch hat vielleicht diesen Gedanken des Philosophen aufgenommen, ihn ins Alte Testament eingefügt, und nun weist er direkt auf Jesus hin. Gerade im Spott bewahrheitet sich das Geheimnis Jesu Christi. So wenig er sich vom Teufel dazu bewegen ließ, sich von der Zinne des Tempels herabzustürzen (Mt 4,5ff; Lk 4,9   –   13), so wenig weicht er jetzt vor dieser Versuchung zurück. Er weiß es: Gott selbst wird ihn retten – aber anders, als diese Leute hier es sich vorstellen. Die Auferstehung wird der Augenblick sein, in dem Gott ihn aus dem Tod herausholt und ihn als den Sohn beglaubigt.
     
    Die dritte Gruppe der Spötter besteht aus den Mitgekreuzigten Jesu, die von Matthäus und Markus mit dem gleichen Wort
lēstēs
(Räuber) charakterisiert werden, mit dem Johannes den Barabbas bezeichnet (vgl. Mt 27,38; Mk 15,27; Joh 18,40). Es ist offenkundig, dass sie damit als Widerstandskämpfer ausgemacht sind, denen die Römer, um sie zu kriminalisieren, schlicht den Titel „Räuber“beigelegt hatten. Sie werden mit

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