Jesus von Nazareth - Band II
verweisen zugleich auf die Erzählungen.
Jedem Leser wird sofort die Unterschiedlichkeit der Auferstehungsberichte der vier Evangelien auffallen. Matthäus kennt neben der Erscheinung des Auferstandenen an die Frauen beim leeren Grab nur eine galiläische Erscheinung an die Elf. Lukas kennt nur jerusalemische Überlieferungen. Johannes berichtet von Erscheinungen sowohl in Jerusalem wie in Galiläa. Keiner der Evangelisten schildert die Auferstehung Jesu selbst: Sie ist ein Vorgang im Geheimnis Gottes zwischen Jesus und dem Vater, der für uns nicht abbildbar ist, der sich von seinem Wesen her menschlicher Erfahrung entzieht.
Ein besonderes Problem stellt der Markus-Schluss dar. Nach den maßgebenden Handschriften endet das Evangelium mit 16,8: „Da verließen sie das Grab und flohen; denn Schrecken und Entsetzen hatte sie gepackt. Und sie sagten niemand etwas davon; denn sie fürchteten sich.“ Der authentische Text des Evangeliums schließt in der uns vorliegenden Form mit der Furcht und dem Schrecken der Frauen. Vorher hatte er von der Entdeckung des leeren Grabes durch die zur Salbung gekommenen Frauen berichtet und von der Engelserscheinung, die ihnen die Auferstehung Jesu verkündigte und sie anwies,den Jüngern, „vor allem Petrus“, zu sagen, dass Jesus ihnen der Verheißung gemäß nach Galiläa vorausgehe. Es ist unmöglich, dass das Evangelium mit den daran anschließenden Worten vom Schweigen der Frauen geendet hätte: Es setzt ja die Mitteilung ihrer Begegnung voraus. Und es weiß offensichtlich um die Erscheinung an Petrus und an die Zwölf, von der der wesentlich ältere Bericht des Ersten Korinther-Briefs handelt. Warum unser Text an dieser Stelle abbricht, wissen wir nicht. Man hat im 2. Jahrhundert einen Sammelbericht angefügt, in dem die wichtigsten Auferstehungsüberlieferungen zusammengetragen sind, zusammen mit der Sendung der Jünger zur Verkündigung an die ganze Welt (16,9 – 20). Wie dem auch sei, auch der kurze Markus-Schluss setzt die Entdeckung des leeren Grabes durch die Frauen voraus, die Botschaft von der Auferstehung, das Wissen um die Erscheinungen an Petrus und die Zwölf. Sein rätselhaftes Abbrechen müssen wir unerklärt lassen.
Die Erzähltradition berichtet von Begegnungen mit dem Auferstandenen und davon, was er dabei gesagt hat; die Bekenntnistradition hält nur die wichtigsten Fakten fest, die zur Bestätigung des Glaubens gehören: So könnten wir noch einmal den wesentlichen Unterschied zwischen den beiden Überlieferungstypen umschreiben. Daraus ergeben sich dann konkrete Unterschiede.
Ein erster besteht darin, dass in der Bekenntnistradition als Zeugen nur Männer mit Namen genannt werden, während in der Erzähltradition die Frauen eine entscheidende Rolle spielen, ja Vorrang vor den Männern haben. Das wird damit zusammenhängen, dass in der jüdischen Überlieferung nur Männer als Zeugen bei Gericht zugelassenwurden, das Zeugnis von Frauen als nicht verlässlich galt. Und so muss die „amtliche“ Überlieferung, die gleichsam vor dem Gericht Israels und der Welt steht, sich an diese Norm halten, um in dem in gewisser Weise weitergehenden Prozess um Jesus bestehen zu können.
Die Erzählungen hingegen sehen sich nicht an diese Rechtsstruktur gebunden, sondern teilen die Weite der Auferstehungserfahrung mit. Wie schon am Kreuz – abgesehen von Johannes – nur Frauen gestanden hatten, so war ihnen auch die erste Begegnung mit dem Auferstandenen zugedacht. Die Kirche ist in ihrer rechtlichen Struktur auf Petrus und die Elf gegründet, aber in der konkreten Gestalt des kirchlichen Lebens sind es immer wieder die Frauen, die dem Herrn die Tür öffnen, die bis zum Kreuz mitgehen und so auch den Auferstandenen erfahren dürfen.
Die Erscheinungen Jesu an Paulus
E in zweiter wichtiger Unterschied, durch den die Erzähltradition die Bekenntnisse ergänzt, besteht darin, dass die Erscheinungen des Auferstandenen nicht nur bekannt, sondern konkret geschildert werden. Wie müssen wir uns die Erscheinungen des Auferstandenen vorstellen, der nicht ins gewohnte Menschenleben zurückgekehrt, sondern in eine neue Weise des Menschseins übergegangen war?
Da gibt es zunächst einen deutlichen Unterschied zwischen der in der Apostelgeschichte geschilderten Erscheinung des Auferstandenen an Paulus einerseits und den Erzählungen der Evangelisten über die Begegnungen derApostel und der Frauen mit dem lebendigen Herrn andererseits.
Nach allen drei
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