Jesus von Nazareth: Prolog - Die Kindheitsgeschichten (German Edition)
Religion, Politik und Theologie ohnedies in der antiken Welt nicht bestand. Der römische Senat hatte ihm bereits im Jahre 27 v. Chr., drei Jahre nach seinem Amtsantritt, den Titel Augustus (griechisch: Sebastos) – „der Anbetungswürdige“ – verliehen. In der Inschrift von Priene heißt er Heiland, Retter (sōtēr). Dieser Titel, der in der Literatur Zeus, aber auch Epikur und Asklepios zuerkannt wurde, bleibt in der griechischen Übersetzung des Alten Testaments Gott allein vorbehalten. Auch bei Augustus hat er göttlichen Klang: Der Kaiser hat eine Weltenwende herbeigeführt, eine neue Zeit.
In der 4. Ekloge Vergils waren wir schon der Hoffnungauf eine neue Welt begegnet, der Erwartung des wiederkehrenden Paradieses. Auch wenn bei Vergil, wie wir sahen, mehr dahinter steht, so ist doch das Lebensgefühl des augusteischen Zeitalters wirksam: „Nun muss sich alles wenden …“
Zwei Akzente im Selbstverständnis des Augustus und seiner Zeitgenossen möchte ich noch besonders unterstreichen. Der „Heiland“ hat der Welt vor allem den Frieden gebracht. Er selbst hat diese seine Sendung als Friedensbringer für alle Zeiten monumental darstellen lassen in der Ara Pacis Augusti, deren erhalten gebliebene Reste auch heute noch beeindruckend sichtbar werden lassen, wie der universale Friede, den er für eine Weile gebracht hat, die Menschen aufatmen und hoffen ließ. Marius Reiser schreibt im Anschluss an Antonie Wlosok dazu: Am 23. September (dem Geburtstag des Kaisers) „wanderte der Schatten dieser Sonnenuhr ‚vom Morgen bis Abend etwa 150 m weit die schnurgerade Äquinoktienlinie entlang genau zur Mitte der Ara Pacis; es führt so eine direkte Linie von der Geburt dieses Mannes zu Pax, und es wird sichtbar demonstriert, dass er natus ad pacem ist. Der Schatten kommt von einer Kugel, und die Kugel … ist zugleich wie Himmels- so auch Weltkugel, Symbol der Herrschaft über die Welt, die jetzt befriedet ist‘“ ( Wie wahr …, a. a. O., S. 459).
Hier scheint der zweite Aspekt des augusteischen Selbstbewusstseins auf: die Universalität, die Augustus selbst noch einmal in einer Art Rechenschaftsbericht seines Lebens und Wirkens, dem sogenannten Monumentum Ancyranum, mit konkreten Daten belegt und nachdrücklich herausgestellt hat.
Damit sind wir wieder bei der Eintragung aller Bewohner des Reiches angelangt, die die Geburt Jesu von Nazareth mit Kaiser Augustus verbindet. Über diese Steuererhebung (Volkszählung) gibt es einen ausgedehnten Streit der Gelehrten, in dessen Details wir hier nicht einzutreten brauchen.
Ein erstes Problem ist noch recht leicht zu erklären: Die Zählung fand zur Zeit von König Herodes dem Großen statt, der aber schon 4 v. Chr. gestorben ist. Der Beginn unserer Zeitrechnung – die Festlegung der Geburt Jesu – geht auf den Mönch Dionysius Exiguus († um 550) zurück, der sich offensichtlich um etliche Jahre verrechnet hat. Das historische Datum der Geburt Jesu ist also um einige Jahre früher anzusetzen.
Große Streitigkeiten bereiten zwei andere Daten. Nach Flavius Josephus, dem vor allem wir unsere Kenntnisse über die jüdische Geschichte zur Zeit Jesu verdanken, fand die Volkszählung im Jahr 6 n. Chr. unter dem Statthalter Quirinius statt und führte – da es dabei ja letztlich um Geld ging – zum Aufstand von Judas dem Galiläer (vgl. Apg 5,37). Außerdem sei Quirinius erst zu dieser Zeit im syrisch-jüdischen Raum tätig gewesen, nicht vorher. Diese Vorgänge sind aber ihrerseits wieder unsicher; jedenfalls gibt es Indizien dafür, dass Quirinius im kaiserlichen Auftrag auch schon um 9 v. Chr. in Syrien wirkte. So sind die Hinweise verschiedener Gelehrter, zum Beispiel von Alois Stöger, durchaus einleuchtend, dass die „Volkszählung“ unter den damaligen Umständen schleppend erfolgte und sich über Jahre hinzog. Sie bestand im Übrigen aus zwei Etappen: zunächst aus der Verzeichnung alles Grund- und Hauseigentums und dann – zweiter Durchgang – aus der Feststellung der tatsächlich zu zahlenden Beträge. Dieerste Etappe fand demnach zur Zeit der Geburt Jesu statt; die zweite, die für das Volk viel verletzender war, rief den Aufstand hervor (vgl. Stöger, a. a. O., S. 372 f).
Schließlich wurde noch eingewandt, dass zu einer solchen Erhebung eine Reise in die eigene Stadt eines jeden (vgl. Lk 2,3) nicht nötig gewesen sei. Wir wissen aber inzwischen aus verschiedenen Quellen, dass Betroffene dort erscheinen mussten, wo sie
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