Jesus von Nazareth: Prolog - Die Kindheitsgeschichten (German Edition)
die Quellen halten, bleibt klar, dass Jesus in Bethlehem geboren und in Nazareth aufgewachsen ist.
Die Geburt Jesu
A ls sie dort (in Bethlehem) waren, kam für Maria die Zeit ihrer Niederkunft, und sie gebar ihren Sohn, den Erstgeborenen. Sie wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe, weil in der Herberge kein Platz für sie war“ (Lk 2,6 f).
Beginnen wir unsere Auslegung bei den letzten Worten dieses Satzes: In der Herberge war kein Platz für sie. Das gläubige Bedenken dieser Worte hat in dieser Feststellung eine innere Parallele zu dem gedankentiefen Wort des Johannes-Prologs gefunden: „Er kam in sein Eigentum, aber die Seinen nahmen ihn nicht auf“ (Joh 1,11). Für den Retter der Welt, für den, auf den hin alles geschaffen ist (vgl. Kol 1,16), ist kein Platz da. „Die Füchse haben ihre Höhlen und die Vögel ihre Nester; der Menschensohn aber hat keinen Ort, wo er sein Haupt hinlegen kann“ (Mt 8,20). Der außerhalb der Stadt gekreuzigt wurde (vgl. Hebr 13,12), ist auch außerhalb der Stadt zur Welt gekommen.
Das mag uns nachdenklich machen, hinweisen auf die Umkehrung der Werte, die in der Gestalt Jesu Christi, in seiner Botschaft liegt. Von Geburt an gehört er nicht dem Bereich dessen zu, was weltlich wichtig und mächtig ist. Aber gerade dieser Unwichtige und Ohnmächtige erweist sich als der wahrhaft Mächtige, als der, auf den letztlich alles ankommt. So gehört zur Christwerdung das Hinausgehen aus dem, was alle denken und wollen, aus den herrschenden Maßstäben, um ins Licht der Wahrheit unseres Seins zu finden und mit ihm auf den rechten Weg zu kommen.
Maria legte ihr neugeborenes Kind in eine Futterkrippe (vgl. Lk 2,7). Dem hat man mit Recht entnommen, dass Jesus in einem Stall geboren worden ist, in einem unwirtlichen – man möchte sagen: unwürdigen – Raum, der immerhin die nötige Diskretion für das heilige Geschehen bot. In der Gegend um Bethlehem werden seit alters Felsgrotten als Stallungen benutzt (vgl. Stuhlmacher, a. a. O., S. 51).
Schon bei Justin dem Märtyrer († 165) und bei Origenes († um 254) finden wir die Überlieferung, dass der Ort der Geburt Jesu eine Grotte gewesen sei, die von den Christen in Palästina vorgezeigt wurde. Dass Rom nach der Vertreibung der Juden aus dem Heiligen Land im 2. Jahrhundert die Grotte in eine Kultstätte des Tammuz-Adonis umwandelte und damit offenbar den christlichen Gedächtniskult beseitigen wollte, bestätigt das Alter dieser Kultstätte und zeigt auch, wie wichtig sie von römischer Seite eingeschätzt wurde. Lokaltraditionen sind häufig eine verlässlichere Quelle als schriftliche Aufzeichnungen. So darf man der bethlehemitischen Ortsüberlieferung, auf die auch die Geburtskirche zurückgeht, ein beträchtliches Maß an Glaubwürdigkeit zuerkennen.
Maria wickelte das Kind in Windeln. Ohne alle Sentimentalität dürfen wir uns dabei vorstellen, mit welcher Liebe Maria ihrer Stunde entgegengegangen ist, die Geburt ihres Kindes vorbereitet hat. Die Ikonen-Tradition hat von der Theologie der Väter her Krippe und Windeln auch theologisch ausgedeutet. Das steif in Windeln gewickelte Kind erscheint wie ein Vorverweis auf die Stunde seines Todes: Er ist der Geopferte, von Anfang an, wie wir beim Bedenken des Wortes vom Erstgeborenen noch näher sehenwerden. So wurde die Krippe zu einer Art von Altar gestaltet.
Augustinus hat die Bedeutung der Krippe mit einem zunächst fast ungehörig erscheinenden Gedanken ausgelegt, der aber bei näherem Zusehen doch eine tiefe Wahrheit enthält. Die Krippe ist der Ort, an dem die Tiere ihre Nahrung vorfinden. Nun aber liegt in der Krippe der, der sich selbst als das wahre, vom Himmel gekommene Brot bezeichnet hat – als die wahre Nahrung, deren der Mensch für sein Menschsein bedarf. Es ist die Nahrung, die dem Menschen das eigentliche, das ewige Leben schenkt. Die Futterkrippe wird so zum Verweis auf den Tisch Gottes, an den der Mensch geladen ist, um Gottes Brot zu empfangen. In der Armseligkeit der Geburt Jesu zeichnet sich das Große ab, in dem sich geheimnisvoll die Rettung der Menschen vollzieht.
Die Futterkrippe verweist – wie gesagt – auf Tiere, für die sie Nahrungsstätte ist. Im Evangelium ist hier von Tieren nicht die Rede. Aber die gläubige Meditation hat in ihrem Zusammenlesen von Altem und Neuem Testament sehr früh diese Lücke ausgefüllt, indem sie auf Jes 1,3 verwies: „Der Ochse kennt seinen Besitzer und der Esel die Krippe seines Herrn; Israel
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