Jesus von Texas
wenn du beweisen willst, wie erwachsen du bist, dann wird's langsam Zeit, daß du begreifst, worauf es ankommt im Leben. Sei ein Mann.«
»Ja, klar.«
»Und komm mir bloß nicht so, nicht vor allen Leuten. Wir wollen nicht wieder so enden wie damals, nachdem ich diese Unterhosen gefunden hab.« Deutschmans Hand zuckt unter seinem Umhang.
»Verdammt, Mom!«
»Mach nur so weiter, verfluche ruhig deine Mutter!«
»Ich fluch überhaupt nicht!«
»O Gott, wenn doch nur dein Vater hier wäre ...«
»Da kommt Vaine«, sagt der Friseur.
Ich winde mich aus dem Stuhl hoch und zerre mir den Umhang über den Kopf.
»Genau, Vernon, mach nur so weiter - mach schon, demütige deine Mutter, nach allem, was ich durchgemacht habe.«
Sie kann mich mal. Ich poltere durch die Fliegengittertür nach draußen. Zwischen den Beinen der Marschkapelle blitzen Puzzleteile eines Polizeitransporters aus Smith County auf. Kann schon sein, daß Martirio nicht so ernst zu nehmen ist, aber mit den Jungs aus Smith County ist nicht zu spaßen. Sie haben gepanzerte Mannschaftswagen dort, verdammt noch mal. Posaunen schießen mit grellem Licht um sich, und Hörner reflektieren Bilder von mir, wie ich verzerrt, geschmolzen und geschrumpft in die Sträucher am steilen Ende des Werksgeländes eintauche.
Als ich den Hügel hochhetze, stechen mir heiße Gräser ins Gesicht, und Libellen zucken durch die Luft; nur der Staub ist zu träge zum Aufsteigen. Am Himmel, direkt über meinem ausgehöhlten, verzweifelten Körper, hängt eine einzelne Wolke. Meine alte Dame kommt mir bestimmt nicht hinterhergerannt. Sie wird bleiben, wo sie ist, und vor den Jungs meinen ganzen Schleim ausbreiten, damit sie ein wissendes Lächeln aufsetzen können, wenn sie mich das nächste Mal sehen. Von wegen Unterhosen. Und es gibt auch keine beschissene Drogenspur. Jesus hatte überhaupt nicht das Geld dafür. Da habt ihr's -
Hysteriaville in Reinform. Rein wissenschaftlich gesehen, muß es in dieser Stadt zehn Quadrillionen Gehirnzellen geben, aber man braucht nur einmal rülpsen, bevor man einundzwanzig ist, und schon können alle zusammengenommen nur zwei Gedanken formen: Du bist verdammt noch mal schwanger, oder: Du bist auf Drogen. Zum Teufel mit dem ganzen Scheiß, ich verschwinde! Das Leben ist einfach, wenn ich wütend bin. Ich weiß, was ich zu tun hab, und ich tu es. Von wegen Unterhosen, schiebt sie euch sonstwohin!
Wollt ihr wissen, was ich erkannt habe? Leute wie meine alte Dame, die immer mit einem Auge darauf achten, daß deine Wunde nicht zuheilt, verbringen ihre Tage tatsächlich damit, Scheiße zu einem gigantischen Netz zu knüpfen. Wirklich wahr. Sie nehmen sich jedes beschissene Wort im Universum und verwenden es dazu, in deiner Wunde zu wühlen. Völlig egal, was du sagst, du kriegst es mit der Klinge zu spüren. Nur mal als Beispiel: »Wow, guck mal, das Auto dort!« »Ja, genau, das ist dasselbe Blau wie von der Hose, auf die du dich bei der Weihnachtsaufführung übergeben hast, weißt du noch?« Mir ist klargeworden, wie Eltern das hinkriegen, daß sie immer gewinnen: Sie verwalten die Datenbank deiner Blödheiten, inklusive des ganzen Schleims, den du angesammelt hast. Immer kampfbereit. Im Bruchteil einer Sekunde bist du erledigt, ganz im Ernst - das geht schneller, als du die Artillerie benutzen könntest, von der du die ganze Zeit träumst. Und wenn ihr mich fragt: In langweiligen Momenten, wenn beim Nachwuchs so langsam der erste Lack abblättert, machen sie es aus reinem Spaß an der Sache.
Erstarrt bleibe ich stehen. Irgendwas raschelt drüben bei der Wegbiegung. Es ist der rote Van, der einen Schwanz aus Staubflocken hinter sich herzieht. Wie jemand mit dieser Rentnerkrankheit, der sich nicht mehr erinnert, was gut für ihn ist, schaue ich auf mein T-Shirt. Ping, schon springt es Lally wie ein erschrecktes Karnickel ins Auge. Quietschend hält er an und drückt mit der Handfläche das elektrische Fenster nach unten. Die Nockenstößel und mein Herz zählen die Zehntelsekunden: tick, tick, tick. »Großer!«
Ich winke rüber, als ob ich in der Tiefkühlabteilung vom Mini-Mart stehe oder so. Am besten war's, die Drogen auf der Stelle fallen zu lassen, aber die Hunde sind nicht weit. Sie würden Bescheid wissen. Ich bin ohnehin nicht so entscheidungsfreudig im Leben, schon gar nicht bei dem Kummer, den ich mit mir rumschleppe. Nicht jetzt, da meine Wut verpufft ist. Zum Totlachen, wirklich. Wenn die Drogen gleich hier verschwinden
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