Jesus von Texas
ihre Tasche vom Sofa und kramt darin nach ihren Autoschlüsseln. »Das Angebot steht.«
Meine alte Dame ist schon auf halbem Weg zum Telefon. »Wie ist die Nummer vom Seldome?«
Lally streckt seinen Arm nach ihr aus. »Doris - das ist noch nicht alles.« Er nestelt an seiner Hemdtasche und zieht zwei zerknautschte Joints raus. »Die hier hat Vernon nicht besonders gut versteckt.«
»Zigaretten ?« fragt Mom.
»Illegale Drogen. Du wirst verstehen, daß ich unter diesen Umständen nicht mit dem Jungen in Zusammenhang gebracht werden kann.« Er wirft die Joints verächtlich auf den Kaffeetisch, beugt sich hinter mich und flüstert: »Danke für die Story.«
Im Hintergrund fallen klappernd Leonas Autoschlüssel in Georges Schoß. »Ich denk mal, ich fahre mit Lally. Nimm den Eldorado, wenn du soweit bist - mußt ein bißchen auftanken.«
»Wir haben ein leerstehendes Zimmer«, sagt Betty. »Myrons Studioapartment - das hat niemand benutzt, seit er gestorben ist.«
Lally und Leona klappern durch die Fliegengittertür in einen schmutzigen Nachmittag hinaus. In ihrem Rücken weht eine Ahnung von Regen, der auf Staub fällt, ins Haus. Für Mom, das weiß ich, riecht es nach Sex - nach dem Sex der beiden.
»Ich komm noch mal vorbei, meine Sachen holen«, ruft Lally. Moms Haut ist zu einem Klumpen verschmolzen. Ihr Gesicht rinnt an ihren Armen herab und tropft in ihren Schoß.
Ich renne ihm ein paar Schritte nach. »Woher wolltest du denn wissen, daß Gutierrez auf der Karte stand, du Bastard? Woher wußtest du, daß da Ledesma Gutierrez stand, wenn du sie nicht mal angeschaut hast, he?« Ich stürme auf die Veranda und sehe, wie er Leona die Beifahrertür seines Autos aufhält, dann, wie sich drüben bei Lechugas die Vorhänge einen Spalt weit öffnen und wie Leonas Finger, versteckt hinter ihrem Rücken, einen kleinen Gruß über die Straße flattern lassen - wink, wink. Der Vorhang schließt sich.
Ich bin ein Junge, dessen bester Freund sich ein Gewehr in den Mund gesteckt und sich damit den Schädel weggeblasen hat, dessen Klassenkameraden tot sind, der an allem schuld sein soll und der gerade seiner Mutter das Herz gebrochen hat - und während ich das Kreuz dieser schalen Wahrheiten zurück ins Haus schleppe, in mein dunkles, braunes, abgegriffenes Leben, flattert eine weitere Erkenntnis des Wegs und setzt sich obenauf. Eine Erkenntnis wie ein Witz - ein letztes Nachtreten, damit ich endlich still bin. Der Vorhang - das ist das Geheimnis hinter dem gespenstischen Timing, mit dem Moms sogenannte Freundinnen ihre präzisen Attacken auf mein Zuhause reiten. Sie haben noch immer eine Hotline zu Nancie Lechuga geschaltet.
elf
Sonntagabend. Ich stehe auf der Veranda und versuche, vor meinen Augen Mexiko erstehen zu lassen. Das hab ich schon den ganzen Tag lang vergeblich vom Wohnzimmerenster aus probiert. Hab mir Kakteen, Fiestas und salzigen Atem vorgestellt. Das Heulen von Männern, durch deren Lebensläufe Frauen namens Maria spuken. Statt dessen steht auf der anderen Straßenseite ein Haus wie das von Mrs. Porter, eine Weide wie die der Lechugas, und nebenan ist ein Pumpenbock, der als Gottesanbeterin verkleidet ist; pump, pump, pump. Vernon Ghettoboy Little.
»Lieber Gott im Himmel, bitte gib mir eine Kühl-Gefrier-Kombi, mach, daß ich die Augen öffne, und sie ist da ...«
Moms geflüsterte Beschwörungen funkeln im Mondlicht und fallen vor der Glücksbank zu Boden. Dann bellt Kurt in Mrs. Porters Garten. Kurt hat Ärger mit Mrs. Porter. Er hat den ganzen Tag auf der falschen Seite des Zauns verbracht, hinter dem die Hoovers Würstchen gegrillt haben, und irgendwann aus lauter Frust Mrs. Porters Sofa zerfetzt. Krasser Köter, der Kurt, echt. Sein Bellen überdeckt das Knarren der Bohlen, als ich von der Veranda springe. Die Kläfferrunde ist heute dick gepolstert, wegen dem alljährlichen Hayride von Bar-B-Chew Barn, bei dem sie die halbe Nacht auf Heuwagen durch die Gegend kutschen. Ein Hayride - ich meine, bitte! Es gibt bei uns noch nicht mal Heu, wahrscheinlich mußten sie's im Internet bestellen oder so. Aber nein, heute ist Martirios traditioneller Hayride.
»O lieber Gott im Himmel, bring Lally zurück, bring Lally zurück, bring Lally zurück ...«
Es war ein langer Tag. Seit Lally gestern gegangen ist, haben mich Kameras im Haus festgenagelt. Jetzt sind sie abgezogen, um vom Hayride zu berichten. Mom kriegt mit, daß ich im Anmarsch auf ihre Weide bin, und schluchzt lauter. Außerdem läßt sie
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