Jetzt Reichts Mir
den Pkw vor ihm aufgefahren. Er hat den Auffahrunfall verursacht und alle Fußgänger, die an der Ampel standen, haben es gesehen. Der Pkw-Fahrer steigt aus. Der Unfallfahrer steigt ebenfalls aus seinem Lieferwagen aus und sagt als Erstes: »Ich habe keine Schuld.«
Das Ehepaar Meier ist sauer, weil ihr neues Eigenheim nicht rechtzeitig fertig wird. Der Dachstuhl ist immer noch nicht errichtet worden. Auf der Baustelle erklärt der Bauleiter, dass das nicht seine Schuld ist. Der Zulieferer, der den Dachstuhl baut, hat geschlampt. Der Zulieferer wiederum schiebt die Schuld auf die Baufirma, die angeblich einen falschen Dachstuhl bestellt hat. Die Baufirma weist natürlich jede Schuld von sich. Sie haben alles richtig gemacht, es liegt am Zulieferer – und auch ein wenig am schlechten Wetter. Die Meiers erkennen schnell: Hier wird nur Schuld hin und her geschoben.
Die neue elektrische Zahnbürste gibt bereits nach einer Woche ihren Geist auf. Bei der Reklamation im Geschäft schüttelt der Verkäufer nur den Kopf: »Das kann nicht sein. Diese Zahnbürsten gehen nicht so schnell kaputt. Wahrscheinlich haben Sie die komplette Zahnbürste in heißes Wasser getaucht. Da haben Sie selbst Schuld.«
Wenn Sie bei einer Rückmeldung oder einer Kritik das Thema Schuld anschneiden, können Sie sofort erleben, wie Ihr Gegenüber in eine Verteidigungshaltung geht. Denn schuld sind immer die anderen.
Vielleicht kommt Ihnen jetzt der Gedanke, dass es ja gar nicht um Schuld geht, sondern um Verantwortung. Das klingt theoretisch richtig und in einer idealen Welt wäre Verantwortung statt Schuld eine echte Verbesserung. Aber in der wirklichen Welt, in der wir leben, sieht es leider anders aus. In unserem Alltag ist die Sache mit der Verantwortung nur eine etwas modernere Version der alten Schuldfrage.
So wird beispielsweise in vielen Unternehmen gern von Verantwortung gesprochen. Wenn etwas schiefläuft, wird gefragt, wer für diesen Fehler verantwortlich ist. Aber die Mitarbeiter lassen sich nicht durch die Worte täuschen. Hinter der Frage, wer verantwortlich ist, steckt die altbekannte Schuldfrage. Denn wer verantwortlich ist, hat die Schuld – und muss büßen. Büßen heißt so viel wie, derjenige, der die Schuld hat, wird nicht befördert, bekommt keine Privilegien und ist nicht mehr der Liebling vom Chef. Deshalb sind es auch immer die anderen, die den Mist gebaut haben. »Die Geschäftsführung ist dafür verantwortlich, dass das Projekt den Bach runtergegangen ist.« »Nein, die Leute unten an der Basis tragen die Verantwortung.« »Das gehört eindeutig in den Verantwortungsbereich der Abteilungsleiter.« Verantwortung wird gern übernommen, wenn alles glatt läuft. Wenn es aber schiefgeht, will es niemand gewesen sein.
Warnung
Wenn Sie Ihrem Gegenüber die Schuld geben, kann es sein, dass der Betreffende alles abstreitet. Die Schuldzuweisung blockiert oftmals eine gute Lösung.
Schuld kann eine Rolle spielen, wenn es um Straftaten oder Versicherungsfälle geht. Aber bei den allermeisten Dingen, die uns stören, bringt uns das Schuldverteilen nicht weiter. Bei Störungen und Fehlern geht es vor allem um Erkenntnis.
Es geht darum zu verstehen, warum etwas vergessen oder fehlerhaft erledigt wurde. Es geht um Ursache und Wirkung. Und es geht darum, dass sich die Störung in Zukunft nicht wiederholt.
Stellen Sie sich vor, in der Wohnung über Ihnen ist eine neue Mieterin eingezogen. Wenn diese neue Mieterin spätabends mit ihren Stöckelschuhen auf dem Parkettfußboden herumläuft, kriegen Sie in Ihrem Bett kein Auge zu. Ihre neue Nachbarin hat noch keine Ahnung davon, dass sie in eine sehr hellhörige Wohnung eingezogen ist. Würden Sie sich jetzt bei der neuen Nachbarin melden und ihr die Schuld daran geben, dass Sie nicht schlafen können, hätten Sie blitzschnell einen Streit vom Zaun gebrochen. Die Nachbarin braucht von Ihnen keine Schuldzuweisung, sie braucht eine sachliche Rückmeldung von Ihnen. Sie weiß nicht, was Sie in Ihrer Wohnung alles hören können. Also reden Sie mit ihr. Verhandeln Sie mit ihr darüber, wie sich die Störung verkleinern oder ganz abstellen lässt.
Statt Schuld zu verteilen, stellen Sie diese Frage: Wie können wir verhindern, dass sich dieses Problem wiederholt?
Die vier Zweigstellen einer großen Firma beschweren sich bei der Zentrale. Sie bekommen die notwendigen Mitteilungen oft viel zu spät, während unnötiger Datenmüll die Postfächer verstopft. Die Schuldfrage löst das
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