Jetzt wirds ernst
Zittern löste, ein letztes Mal im Scheinwerferlicht aufglitzerte und schließlich
auf die Sperrholzplatte unter mir klatschte.
Janos stand auf und streckte mir die Hand entgegen. Ich bückte mich, um sie zu nehmen. Sie war warm, aber hart und rau wie ein Stück Holz.
»Du fängst morgen an!«, sagte er. Und jetzt lächelte er wirklich. Ein breites, offenes Lächeln, mit einer Menge Gold in den Zähnen. Er drehte sich um und blickte
hinter sich in den Zuschauerraum hinein. Ganz hinten, auf dem letzten Stuhl der letzten Reihe saß Irina. Im Halbdunkel schimmerten ihre Ohrringe wie Janos’ Zahngold.
EIN DRECKIGBRAUNES SPANIEN
Noch am selben Nachmittag machte ich mich auf die Suche nach einer eigenen Wohnung. Ich war nun ein Mann in Lohn und Brot, ein Selbstversorger, ein Alleinverdiener, ein
angehender Theatermitarbeiter und Schauspielschüler, also konnte ich unmöglich weiter im Zimmer meiner verflogenen Kindheit hocken bleiben.
Auswahl gab es genug, das Angebot war weit größer als die Nachfrage. In den letzten Jahren hatte sich die Stadt geleert wie ein löchriger Eimer. Nur der Marienmond und die
städtischen Friedhöfe erfreuten sich immer höherer Zuwachsraten. Man konnte die Anzeigen im sonntäglichen Gemeindeblatt studieren oder einfach durch die Straßen schlendern
und sich direkt eine der vielen leer stehenden Wohnungen aussuchen, die an den verstaubten Fensterscheiben und den vertrockneten Geranien leicht zu erkennen waren.
Ich entschied mich für ein möbliertes Zimmer gleich in der Nähe des Theaters. Der Umzug erledigte sich innerhalb eines halben Vormittags. Die wenigen Habseligkeiten, die ich von
zu Hause mitbrachte, passten in drei mittelgroße Kartons. Zwei davon waren mit Büchern vollgestopft, im dritten befanden sich meine Kleidungsstücke, das Waschzeug und ein heimlich
entwendetes Brillantinetöpfchen.
Der Abschied war kurz. Vater wischte sich die Hände an seiner Schürze ab und lächelte schief. Machs gut, viel Glück, auf Wiedersehen, Kopfnicken, Händedruck, verlegenes
Räuspern. Als ich auf die Straße trat, hörte ich hinter mir die Glaskristalle des alten Kronleuchters leise klirren.
Die Wohnung war winzig. Ein Zimmer, Bad mit Dusche, Kochnische, Ofenheizung. Das Klo befand sich draußen auf dem Flur und musste laut Mietvertrag mit den anderen
Bewohnern meiner Etage geteilt werden. Da ich aber offenbar der einzige Etagenbewohner war, störte mich das nicht weiter. Ich konnte unbelästigt scheißen oder lesen.
Die Einrichtung bestand aus einem Bett, einem Tisch mit Stuhl, einem Kleiderschrank, einem fadenscheinigen Fleckenteppich, und einer riesigen, topfartigen Vase, aus der ein verstaubtes
Blumenstraußimitat aus Plastik ragte. Meine Kleider stopfte ich in den Schrank und die Bücher stapelte ich in hohen, wackeligen Türmen entlang einer Wand.
Der Vermieter war ein kleiner Mann in blauem Arbeitsoverall namens Heribert Mohapp. Bei unserem ersten Treffen hatte ich ihn für den Hausmeister gehalten. Wie sich herausstellte, war er der
Hausbesitzer. Überhaupt gehörten ihm jede Menge Häuser und Grundstücke in dieser »taubenverschissenen Drecksgegend«, wie er sich ausdrückte. Ich fand die
Wohnung gut, der Preis stimmte, wir waren uns einig.
»Dienstag kommt die Müllabfuhr«, sagte Herr Mohapp nachdem wir den Vertrag unterschrieben hatten. »Machen Sie keine Schwierigkeiten, und putzen Sie regelmäßig
den Taubendreck weg, sonst ätzt er noch die Fensterbretter durch!«
Er übergab mir die Schlüssel, verabschiedete sich mit einem traurigen Blick und schlurfte hinaus.
Ich wartete, bis seine Schritte auf dem Flur nicht mehr zu hören waren, stellte mich mit dem Rücken zum Bett, schloss die Augen und ließ mich nach hinten fallen. Mit einem
unangenehmen Geräusch brach eine Latte unter mir. Das Bett schaukelte ein wenig, blieb aber einigermaßen stabil. Die Matratze war angenehm kühl und weich. An der Decke über mir
befand sich ein großer, dreckigbrauner Fleck. Wahrscheinlich die Folge eines längst behobenen Wasserschadens. Hoffentlich. Wenn ich die Weltkarte aus dem Geografieunterricht noch richtig
im Kopf hatte, entsprach der Fleck ungefähr den Umrissen Spaniens. Das gefiel mir. Irgendwann würde ich nach Spanien reisen, dachte ich, oder nach Amerika, nach Chile und nach
Weißrussland. Irgendwann würde ich überhaupt überall hinfahren. Doch jetzt war ich erst mal hier. Ein Mann in seiner Wohnung. Auf seinem Bett. Unter seinem Wasserfleck. Ich
Weitere Kostenlose Bücher