Jhereg
Natürlich habe ich es nie offiziell bestätigt, aber das ist so ähnlich, wie wenn man ein Morgantischwert besitzt: Wenn sie eine Entschuldigung brauchen, dir auf die Nerven zu gehen, dann haben sie eine. Ansonsten lassen sie einen deswegen in Ruhe. Außer natürlich, man benutzt es.«
»Oder man ist zufällig ein Jhereg«, murmelte ich.
»Ja, da ist wohl was dran, nicht?«
Ich kam wieder auf mein eigentliches Anliegen zu sprechen. »Wie kam es, daß Mellar hierblieb, nachdem er das Buch abgeliefert hatte?«
Morrolan wirkte nachdenklich. »Würde es dich sehr stören, wenn ich frage, worum es bei der ganzen Sache geht?«
Ich sah mich noch einmal im Raum um und bemerkte, daß Sethra und Aliera ebenfalls neugierig waren. Aliera saß auf dem Sofa, einen Arm locker über die Lehne geworfen, ein Weinglas in der anderen Hand (wo hatte sie das her?), auf dem sich die Strahlen der großen Deckenleuchte brachen und hübsche Muster auf ihr Gesicht warfen. Kühl, aus halb geschlossenen Augen, mit leicht geneigtem Kopf, beobachtete sie mich.
Sethra sah mich offen und eindringlich an. Der schwarz bezogene Sessel, in dem sie saß, paßte gut zu ihrem Gewand und ließ ihre blasse, weiße, untote Haut leuchten. Ich konnte ihre Anspannung fühlen, fast als hätte sie eine Ahnung, daß etwas Unangenehmes vor sich ging. Wie ich Sethra kenne, hatte sie wahrscheinlich wirklich eine Ahnung.
Morrolan saß am anderen Ende des Sofas – entspannt zwar, aber trotzdem wirkte er wie ein Modell, das für einen Maler posierte. Ich schüttelte den Kopf.
»Wenn du darauf bestehst, dann sage ich es dir«, meinte ich, »aber zuerst möchte ich noch ein bißchen mehr wissen, damit ich eine Vorstellung bekomme, über was ich eigentlich rede.«
»Oder wieviel du uns verraten möchtest?« fragte Aliera mit süßlichem Unterton.
Ich konnte ein Grinsen nicht unterdrücken.
»Ich sollte darauf hinweisen«, warf Morrolan ein, »daß wir grundsätzlich die ganze Geschichte wissen müssen, wenn du bei irgendwas unsere Hilfe willst.«
»Das ist mir bewußt.«
Mit einem Blick vergewisserte sich Morrolan, wie die anderen darüber dachten. Aliera schwenkte ihr Weinglas, als würde sie nichts weniger interessieren. Sethra nickte einmal.
Dann wandte sich Morrolan wieder mir zu. »Na schön, Vlad. Was genau wünschst du zu wissen?«
»Wie kam es, daß Mellar hier blieb, nachdem er das Buch abgeliefert hatte? Normalerweise lädst du keine Jhereg in dein Haus ein.«
»Mit ein paar Ausnahmen«, lächelte Morrolan leise.
»Wir sind halt was Besonderes.«
»Schnauze, Loiosh.«
»Graf Mellar«, sagte Morrolan, »setzte sich vor etwa vier Tagen mit mir in Verbindung. Er teilte mir mit, daß er im Besitz eines Werkes sei, von dem er glaubte, daß ich es haben möchte, und er schlug höflicherweise vor, es kurz vorbeizubringen.«
Ich unterbrach ihn. »Kam dir das nicht merkwürdig vor, daß er es eigenhändig abliefern wollte, anstatt es von einem Lakaien bringen zu lassen?«
»Doch, ich hielt es für merkwürdig. Aber schließlich und endlich ist solch ein Buch illegal, und ich nahm an, er wollte nicht, daß irgend jemand erfuhr, daß es sich in seinem Besitz befand. Schließlich waren seinen Angestellten allesamt Jhereg. Wie hätte er denen trauen können?« Er machte eine Pause, um zu sehen, ob ich auf seine Stichelei eingehen würde, aber ich ignorierte sie. »Wie dem auch sei, der Graf schien mir ausnehmend höflich zu sein. Ich hab ihn mal ein bißchen überprüft, und für einen Jhereg erschien er mir recht vertrauenswürdig. Nachdem ich entschieden hatte, daß er wahrscheinlich keinen Ärger machen würde, lud ich ihn ein, mit mir und einigen anderen Gästen zu speisen, und er sagte zu.«
Ich sah kurz zu Aliera und Sethra hinüber. Sethra schüttelte den Kopf, sie war nicht dabei gewesen. Aliera schien mäßig interessiert, aber sie nickte.
»Ich erinnere mich an ihn«, sagte sie. »Ein Langweiler.«
Nach dieser endgültigen Verurteilung wandte ich mich wieder Morrolan zu, der weitererzählte. »Das Essen verlief so gut, daß ich keinerlei Bedenken hatte, ihn in den Kreis meiner Gäste aufzunehmen. Zugegeben, einige der gröberen Zeitgenossen, die nicht viel von den Jhereg halten, haben versucht, ihn auf diese oder jene Art in Streitereien zu verwickeln, aber er war sehr freundlich und bemüht, Schwierigkeiten aus dem Weg zu gehen.
Also lud ich ihn ein, siebzehn Tage bei mir zu weilen, wenn er das wollte. Ich war, wie ich gern zugebe, ein
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