Jhereg
Morrolan zurück.
Ein Zeitlang hielt Aliera seinem Blick stand, dann sagte sie: »Wenn du es vorziehst, diese Beleidigung deiner Ehre hinzunehmen, ist das deine Sache. Aber wenn diese Beleidigung das gesamte Haus der Dragon betrifft, dann geht es auch mich an.«
»Trotz alledem«, sagte Morrolan, »und weil die Beleidigung durch mich stattfand, ist es mein Recht und meine Pflicht, sie zu rächen, meinst du nicht auch?«
Da lächelte Aliera. Sie lehnte sich entspannt zurück, ein Abbild von jemandem, dem soeben sämtliche Sorgen genommen wurden. »Oh, gut!« sagte sie. »Dann wirst du ihn also umbringen!«
»Na, aber ganz sicher«, erwiderte Morrolan und fletschte die Zähne, »in dreizehn Tagen.«
Ich warf einen Blick auf Sethra, um zu sehen, wie sie darauf reagierte. Bis jetzt hatte sie noch nichts dazu gesagt, aber ihr Gesichtsausdruck war alles andere als angenehm. Ich hoffte inständig, daß sie willens und in der Lage sein würde, zwischen den beiden zu vermitteln, wenn sich die Dinge zu stark hochschaukelten. Ihr Anblick ließ mich jedoch zweifeln, ob sie tatsächlich dazu geneigt war.
Jetzt lächelte Aliera nicht mehr. Ihre Hand umklammerte Wegfinder so heftig, daß die Knöchel weiß hervortraten. »Das bedeutet«, zischte sie, »du tust gar nichts. Ich lasse nicht zu, daß ein Jhereg –«
»Du rührst ihn nicht an, Aliera«, befahl Morrolan. »Solange ich lebe, muß in meinem Hause kein Gast um sein Leben fürchten. Es ist mir völlig egal, um wen es sich handelt, warum er hier ist; solange ich ihn willkommen geheißen habe, kann er sich in Sicherheit wähnen.
Ich habe schon meine Erzfeinde hier an meinen Tisch geladen und Morganti-Duelle mit ihnen verabredet. Ich habe gesehen, wie die Totenbeschwörerin sich leise mit jemandem unterhalten hat, der seit sechs Inkarnationen mit ihr verfeindet war. Ich habe Sethra« – dabei deutete er mit der Hand auf sie – »gesehen, wie sie einem Dzurlord gegenübergesessen hat, der geschworen hatte, sie zu vernichten. Ich werde nicht zulassen, daß du, meine eigene Cousine, meinen Namen in den Schmutz ziehst; du machst aus mir keinen Eidbrecher. Willst du etwa so die Ehre des Hauses der Dragon bewahren?«
»Oh, sprich nur weiter, du großer Beschützer der Ehre«, erwiderte sie. »Warum machst du es dann nicht gleich richtig? Häng doch ein Plakat an das Jhereg-Hauptquartier mit dem Angebot, daß du jedem, der vor ihren gedungenen Mördern auf der Flucht ist, gerne in deinem Haus Schutz gewährst.«
Er ignorierte ihren Sarkasmus. »Kannst du mir denn erklären, wie wir die Ehre unseres Hauses verteidigen sollen, wenn sich die einzelnen Mitglieder nicht an ihr Wort halten?«
Aliera schüttelte den Kopf und sprach mit sanfterer Stimme weiter. »Morrolan, siehst du denn nicht, daß es einen Unterschied gibt zwischen dem Ehrenkodex, den Verhaltensregeln, die aus den Traditionen des Hauses der Dragon überliefert sind, und deinen eigenen? Ich hab nichts gegen deine kleinen Angewohnheiten; ich finde das sogar gut. Aber sie stehen nicht auf der gleichen Ebene wie die des Hauses.«
Er nickte. »Das verstehe ich, Aliera. Aber ich rede hier nicht über eine ›Angewohnheit‹; es geht um einen Eid, den ich geschworen habe: das Schwarze Schloß zu einem Ort der Zuflucht zu machen. Wenn wir zum Beispiel auf dem Dzurberg wären, dann wäre das was völlig anderes.«
Kopfschüttelnd sagte sie: »Ich verstehe dich einfach nicht. Selbstverständlich willst du deinem Eid entsprechend handeln, aber soll das bedeuten, daß du dich und das Haus benutzen lassen mußt? Er lebt nicht nur im Schutze deines Eides, er nutzt ihn aus.«
»Das stimmt«, erwiderte Morrolan. »Aber ich fürchte, er ist im Recht. Es steht ganz einfach außer Frage, daß ich den Schwur breche, und das ist ihm bewußt. Ehrlich gesagt bin ich etwas überrascht, daß du das nicht verstehen willst.«
Jetzt, fand ich, war die Zeit reif, daß ich mich einmischte. »Mir scheint, daß –«
»Schweig still, Jhereg«, blaffte Aliera. »Das geht dich nichts an.«
Ich überlegte es mir anders.
»Es ist ja nicht so, daß ich es nicht verstehen könnte«, erklärte sie Morrolan, »ich finde nur, daß du die Prioritäten falsch setzt.«
»Schade, daß du so denkst.«
Das waren die falschen Worte. Aliera stand auf, und ihre Augen, das konnte ich sehen, waren eisblau. »Zufällig«, sagte sie, »hast du diesen Eid geschworen, nicht ich. Wenn du nicht mehr Herr im Schwarzen Schloß wärst, dann hätten wir das
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